SocialMedia-Material der EKM

Seit 8 Jahren bin ich ja als SocialMedia-Koordinator angestellt. Einiges, was ich sonst als Medientheologe mache überschneidet sich mit der Tätigkeit dort. Aber der meiste Output landet am Ende auf den Seiten/Kanälen der EKM. Deshalb kam ich gerade auf die Idee, auch hier mal einen Hinweis zu geben, was euch davon interessieren könnte. Natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit 🙂

  1. aktuelle SocialMedia-Schulungen
    Videoschnitt, Bildgestaltung, SocialMedia-Grundlagen, Instagram Grundlagen etc. hier kann man sich für die hybriden Schulungen der EKM anmelden oder nachträglich auf das Schulungsmaterial zugreifen.
  2. SocialMedia-Artikel
    in unserem Printmagazin EKMintern veröffentliche ich immer mal wieder Artikel zu Digitalthemen. Hier eine Übersicht inkl der verlinkten Dokumente zum Nachlesen.
  3. Bildgestaltung von Reels auf Instagram und Facebook
    Ich habe etwas drüber nachgedacht, welche Bildgestaltung für Hochformatvideos sinnvoll ist und welche Bereiche im Bild für Texteinblendungen passen.
  4. Barcamp Kirche Online im März 2023
    Eine Veranstaltung, die ich schon seit über 10 Jahren begleite sind die kirchlichen Barcamps (#bckirche). Hier treffen sich alle, die Kirche und Onlinewelt irgendwie zusammendenken. Sei es im Bildungsbereich, Verkündigung, Seelsorge, Verwaltung, Innovation oder Musik. Dieses Jahr ist vor allem der vorgeschaltete Fachtag „Blended Reality“ der Erwähnung wert, wo wir über die Zukunft kirchlicher Veranstaltungsformate nachdenken.
  5. VR-Experience als kirchliches Erfahrungsfeld
    Wir gehen der Frage nach, wie virtuelle Realität den kirchlichen Alltag bereichern kann. Bisher noch Zukunftsmusik, aber da die Zukunft gerade anbricht, denken wir schon jetzt mit und experimentieren mit verschiedenen Apps. Einfach mal ausprobieren ist der beste Weg, um zu verstehen, was so faszinierend daran ist…

Das ist natürlich nicht alles, was ich für die EKM mache, aber soll euch als Materialsammlung aus dem Bereich „Medientheologie“ unterstützen, gute Infos zu finden 🙂

Umgang mit Veränderung

„Was es schon gab bevor wir 15 werden, war schon immer so und ist offensichtlich völlig veraltet. Was neu dazu kommt, wenn wir zwischen 15 und 35 sind, ist bahnbrechend revolutionär und wird die Welt retten. Und alles, was entwickelt wird, nachdem wir 35 geworden sind, ist neumodischer Quatsch, der die Gesellschaft ruinieren wird.“

(sinngemäß zitiert nach Douglas Adams, Lachs im Zweifel)

Ein Zitat, das mir schon öfters begegnet ist. Wie gehen wir mit Neuentwicklungen in der Gesellschaft, Meinungen, Trends und Medien um? Oft bin ich erschrocken, wie gut es auch auf mein Leben passt: Als junger Wilder zwischen Gymnasium und Promotion habe ich mich zu Genüge an althergebrachten Traditionen, Zeitplänen und Lebenstheorien abgearbeitet. Ich wollte die Welt revolutionieren, habe ernsthaft große Pläne gesponnen und oft die ältere Generation verachtet, die keinen Blick für die neuen wegweisenden Ideen (das frühe Internet, digiteles Wissen, mobile Arbeitsweisen) hatte. Heute schau ich mir die „jungen Wilden“ an, erkenne, wie naiv und unreflektiert sie oft sind (und ich ich damals war) und belächele, wie sie mich dafür belächeln, an meinen für sie alten Werten und Traditionen festzuhalten (z.B. Webdienste ohne kommerzielles Tracking, Textsmilies oder Musik besitzen statt zu streamen).

Es kommt dabei nicht auf die exakten Zahlen 15 und 35 an (, auch wenn sie bei mir erstaunlich gut passen). Je nach Lebenssituation laufen solche Prozesse auch zeitversetzt ab. Es gibt im Leben aber oft diese drei Phasen: Wir wachsen mit einer Normalität auf, die wir erlernen, anerkennen und irgendwann kritisch hinterfragen. Warum kann man es denn nicht neu und anders machen? Dann bekommen wir Eigenständigkeit und machen es einfach anders. Und zwar oft radikal und prinzipiell. Die neuen Ideen sind ja vielleicht wirklich teilweise brauchbar, setzen sich durch und werden neue Normalität. Wir kultivieren sie, festigen sie und freuen uns, dass das Leben endlich ein wenig besser geworden ist.

Und dann kommt der spannende Punkt, wo es neue neue Ideen gibt. Wieder will jemand gegen das Alte aufbegehren, was wir doch „gerade erst“ mühsam gegen das Etablierte eingeführt hatten. Und dabei werden unsere guten Ideen, mühsamen Diskurse und weisen Kompromisse gar nicht mehr gewürdigt, sondern als altes Eisen ignoriert. Das verletzt natürlich das eigene Ego und führt nicht selten zu Verstockung als Schutz vor Identitätsverlust.

So war es als die Newsgroups (bzw. Foren und später StudiVZ) von Facebook abgelöst wurden und als Instagram neuer Platzhirsch in digitaler Kommunikation wurde. So war es auch vorher schon als „das Internet“ dem Rundfunk und dieser den etablierten Printmedien den Rang abgelaufen hat. Und auch in Zukunft wird es neue Mainstream-Kommunikationsmittel geben, die „dein Lieblingsmedium“ überflüssig machen oder deinen Way of Life hinterfragen. Parallel wird es vermutlich sogar mehrere neue Trends, Moden, Theorien und Welterklärungsmuster geben, die jeweils althergebrachtes über den Haufen werfen und verletzte Alt-Innovatoren erzeugen.

Manchmal erlebe ich mich noch als den Reformer, anderenorts bereits als Bewahrer. Wichtig ist mir als reflektiertem Medienmenschen, dass ich fair mit den jeweils anderen Meinungen umgehe, ohne meine Erkenntnis zu verleugnen. Das bedeutet, dass ich erstmal zuhöre, was frühere Generationen dazu gebracht hat, etwas so zu machen wie ich es vorgefunden habe. Dann kann ich meine Wahrnehmung als eine Station im Wandel der Zeit begreifen. Ich nehme aktuelle Neuentwicklungen als positive Möglichkeiten ernst und prüfe gleichzeitig kritisch, wo auch Gefahren liegen. Und ich gestehe nachfolgenden Generationen zu, dass sie eigene neue Herangehensweisen finden, die sich komplett von meinen unterscheiden können, ohne dass sie mich damit in Frage stellen.

Klar, ich wünsche mir, dass „die Alten“ mir ihre Lebensweise gut erklären und mich in meiner Andersartigkeit akzeptieren. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass „die Jungen“ sich interessieren und von meiner Erkenntnis lernen wollen, bevor ich sie ihr eigenes Ding machen lasse. Wenn ich mir bewusst werde, wo auch ich beide Rollen inne habe, kann ich entspannter auf die jeweils anderen schauen ohne Entwicklungen zu blockieren und ohne meine Meinung zurückzuhalten. Das wünsche ich mir am meisten von allen Seiten. So können wir uns als Gesellschaft gegenseitig unterstützen und achtsam miteinander umgehen.

OneShot – Gott spielen auf Steam?!

Eine Reflexion zum Indie-2D-Abenteuer-Rätselspiel „One Shot“ (inkl Solstice-Erweiterung).

Das Spiel fängt ganz einfach an. Man steuert eine Figur (Niko, eine Art Katze mit blauen Haaren), die in einem dunklen Haus aufwacht und sich erstmal orientieren muss. Zuerst eine Lampe finden, ein paar einfache Rätsel lösen, einen Computer anschalten, der mir mitteilt, es gehe darum, aus dieser Welt wieder nach Hause zu kommen. Dann finde ich eine riesige leuchtende Kugel mit der ich die lebensspendende Sonne dieser Welt wieder herstellen soll. Die Steuerung erinnert mich an die ersten Draufsicht-Zeldaspiele auf NES oder GameBoy. Die Welt scheint ein wenig ein postapokalyptischer Informatiker-Traum auf Droge zu sein. Eine technologische Welt mit Computern, Robotern, Maschinen, denen der (Solar-)Strom ausgegangen ist. Aber alle scheinen freundlich. Also kann ich herumlaufen, alles anschauen, erkunden, reden, lesen und Dinge einsammeln (erfahrungsgemäß kann man alles später nochmal brauchen, was sammelbar ist).

ACHTUNG: Spoileralarm! Wer das Spiel noch nicht kennt und neutral spielen möchte, bitte hier pausieren und nach dem Spielen weiterlesen. Dann bin ich umso mehr an deiner Meinung interessiert!
Wem das selber erkunden zu lange dauert, findet hier eine gute Anleitung
.
Und wichtig: Ich beziehe mich auf die Steam-Version auf Windows.
Mittlerweile gibt es auch eine Konsolenumsetzung. Hast du die gespielt, dann lass uns ins Gespräch kommen. Gerne würde ich die immersiven Funktionen vergleichen!

Screenshot aus dem Spiel „OneShot“

Aber zurück zu Niko: Schon bei den ersten Gesprächen mit den Bewohnern bemerke ich eine deutlich religiöse Sprache: Der/die (übrigens durchgängig neutral gegenderte) Protagonist:in Niko ist „Messias“, er trifft auf einen Propheten-Bot, der verheißt, dass Niko Licht in die Welt bringen kann, um sie so zu retten. Für mich als Theologen eine spannende Aufgabe.

Screenshot aus dem Spiel „OneShot“

Dann wird es immersiv: Ich werde als Karsten angesprochen. Ich bin der Gott dieser Welt. Das macht was mit mir. Klar, ein Steam-Game, da ist mein Name im Account hinterlegt, technisch alles verständlich. Aber doch bin ich ergriffen, so persönlich vorzukommen. Ich dachte, ich wäre Niko, aber ich bin der Gegenüber, der allmächtige Außenstehende, der Niko durch diese Welt leiten soll. Auch wenn ich weiterhin jeden Schritt lenke, wird mir suggeriert, da wäre ein Gegenüber für das ich Verantwortung habe.
Auch später werde ich öfters einbezogen, wichtige Entscheidungen will die Spielfigur nicht selber treffen, sondern „betet“ zu mir, also fragt nach meiner Entscheidung, wenn sie nicht weiter weiß.

Screenshot aus dem Spiel „OneShot“

Die Welt ist wirklich skurril, aber immer wieder gibt es HInweise, dass alles von einem Urschöpfer herkommt. Es gibt eine Welt-Maschine (mein Computer) und ein preexistenter Code (vgl. Joh 1 in der Bibel) generiert alles, was die Figuren als ihre Realität wahrnehmen. Da ich den Powerbutton gedrückt habe, bin ich wirklich derjenige, der sie in Existenz gebracht hat, bin der ewige, der schon vor ihrer Zeit war und auch über die Existenz der Spielwelt hinaus quasi unverändert existieren werde. Natürlich bin ich mir bewusst, dass die Figuren hier keine wirklichen Entitäten sind, aber sie spielen diese Rolle und das macht etwas mit mir. So wie ein hungriges Tamagotchie in den 90ern Kinderherzen angerührt hat ohne wirklich bedürftig zu sein, will ich Gutes für „meine Schöpfung“ und entscheide mich ethisch und menschlich, wo immer es geht. Ich will ein gütiger Gott sein!

Was die Immersion noch weiter verstärkt ist das Ausnutzen von Meta-Kommunikation außerhalb des eigentlichen Games. So hat die Software Schreibrechte im Userfolder und hinterlegt dort Informationen, die ich brauche, um Rätsel zu lösen oder passt sogar mal kurzfristig den Desktophintergrund mit einer Grafik an. Das Spiel (dessen Gott ist bin) wächst also aus dem Spielfenster zumindest auf die Ebene des Betriebssystems. Gefühlt kommt es mir einen Schritt näher und es scheint durchaus plausibel, dass es als nächsten Schritt an der Tür klingelt oder ein Code per Telefon zu mir gelangt. Als Informatiker kann ich rational sagen, wo die Grenzen dieser Spielmechanik sind, aber als Spieler bin ich erstmal gefesselt und habe das gesamte Spiel tatsächlich an zwei Abenden durchgespielt, weil ich wissen wollte, wie es weitergeht und „meine Welt“ nicht im Stich lassen wollte.

Screenshot aus dem Spiel „OneShot“

Und dann (am Ende des Grundspiels) muss ich tatsächlich eine harte Entscheidung treffen. Denn letzendlich kommt es zum Grundkonflikt, dass ja Niko die Sonne neu zum Leuchten bringen will, um diese Welt vor dem Untergang zu retten, aber ursprünglich mal der Plan war, dass Niko zurück nach Hause muss. Und mit der Zeit wird deutlich, dass Niko aus einer Realität außerhalb kommt, in die er nur zurückkehren kann, wenn diese Welt stirbt. Ich als Gott bekomme diese Information zugespielt und muss entscheiden, ob ich Niko die bittere Wahrheit (und Dilemma-Entscheidung) zumute oder ob ich autark diese Entscheidung treffe. Für Niko (der aus meiner Sicht ja ebenso virtuell ist wie die Welt) oder für die Welt (die ich aber eigentlich nur für Niko durchstreift habe). Und tatsächlich gibt es ein offenes Ende mit der Option, Niko nach Hause zu schicken oder die Welt wiederzubeleben.

Nun heißt das Spiel OneShot, weil man nur einen Versuch hat. Also scheint die Entscheidung final zu sein. Doch wenn man Niko nicht nach Hause geschickt hat, ist er ja noch da und man kann das Spiel ein zweites Mal starten. Man begegnet Niko erneut, muss in dem dunklen Haus die gleichen Rätsel lösen, aber es ist nicht 100% das gleiche. Und Niko hat eine Ahnung, dass da schonmal was war, obwohl es ja eigentlich eine neue Spielinstanz sein müsste. Aber eine Erinnerung an unsere Abenteuer scheint geblieben zu sein (vgl die Bewusstwerdung bei Westworld). So kommt es, dass Niko diesmal selbstbewusster hantiert und das Spiel irgendwann einen komplett anderen Verlauf nimmt, bis es am Ende das Spielsystem selbst aushebelt, um das Dilemma des Grundspiels aufzulösen. Die Welt kann gerettet werden und Niko kehrt nach Hause zurück. Am Ende wird ein mysteriöser Author wichtig, eine Dreieinigkeit und das Opfer, sich ganz in die sterbende Welt zu investieren. Die religiösen Motive bleiben also bis zum Ende bestehen, auch wenn keine explizit christliche Lesart vorgegeben wird.

Mich begleitet noch ein weiterer Gedanke: So wie ich als „Gott“ mit meiner Welt mitgefiebert habe, geht es unserem Gott vielleicht auch mit uns. Hat er nur einen Knopf gedrückt, eine Simulation gestartet und ist jetzt irritiert, was diese ganzen Nikos von ihm wollen? Oder Ist Gott der Author, der souverän hinter allem steht und nur scheinbar dem Chaos die Hoheit überlässt? Gott als Gamer ist zumindest eine interessante Vorstellung! (vgl. Welt am Draht bzw. The 13th Floor)

Screenshot aus dem Spiel „OneShot“

Insgesamt ist das Spiel durchaus unterhaltsam, wenn auch reichlich abgedreht. Die Rätsel sind durch die Metamethodik innovativ und erfordern ein gewisses „Out of the box“ Denken (oder die Anleitung). Aber wirklich gefesselt hat mich die immersive und direkte Ansprache von mir mit meinem Namen als ein Gegenüber, das echte Entscheidungen treffen muss. Ich steuere nicht nur einen Charakter, der dann in seiner fiktionalen Welt fiktionale Auswirkungen herbeiführt, sondern ich habe den Eindruck, wirkliche Realität zu schaffen. Für mich ist Nikos Heimkehr am Ende mehr als nur ein virtuelles Happy Ending.
Das macht für mich gutes Storytelling aus und deshalb mag ich das Spiel so gerne. Gleichzeitig stelle ich mir die Frage, welche Macht aufwändigere VR-Spiele bekommen können, wenn sie genauso pfiffig und manipulativ in einer vollumfänglichen 3D-OpenWorld-Simulation mich als Entscheider über Tod und Lebeen einführen. Wie lange kann ich mich distanzieren? Wie weit darf Kunst gehen, um Menschen herauszufordern? Wo müssen wir ethisch aufpassen, dass die Spieleindustrie uns nicht in emotionale Abhängigkeiten führt? Gerade das Ende der Erweiterung hinterlässt mich so mit einem freudigen und einem skeptischen Auge. Während ich mich kindlich freue, wirklich gut unterhalten worden zu sein, spüre ich, wie leicht ich manipuliert werden kann. Und was ein Indie-Game mit kleinem Budget schafft, werden große Spieleschmieden nicht ungenutzt lassen. Also lasst uns ins Gespräch kommen: Wo sind euch ähnliche Effekte in anderen Spielen begegnet und wie geht ihr ethisch damit um, wenn ihr zu sehr hineingezogen werdet?

Bin ich Handysüchtig?

Ich bin seit 24 Jahren mit einem Mobiltelefon aufgewachsen. Das merke ich , weil mein Handy letzte Woche kaputt gegangen ist. Erst ging es nicht richtig, dann quasi gar nicht mehr und vor Weihnachten ist keine Reaparatur mehr zu machen. Ich musste mich also damit auseinandersetzen, ca. 2 Wochen lang auf die gewohnten Apps und Featues verzichten zu müssen. Noch vor 2 Jahren hätte ich das vermutlich als sportlichen Anreiz zum digital detox genommen. Doch mitlerweile merke ich, dass ich das nicht mehr will. Ich will, ein funktionierendes Device haben. Es ist ein Teil von mir geworden.

Daraus könnte man schließen, dass ich Handysüchtig bin und dringend eine Entziehungskur brauche. Aber ich glaube, es ist etwas anderes. Ich bin nicht süchtig, ich bin abhängig! Das klingt zwar ähnlich ist aber etwas ganz anderes!
Eine Sucht zieht mich in ihren Bann, bringt mich dazu, Dinge zu tun, die ich eigentlich nicht tun möchte. Wenn ich CandyCrush spiele und nicht wie geplant nach einem Level afhöre, sondern erst nach 2h und auch nur, weil der Akkus leer ist, dann ist das eine Form der Sucht. Wenn ich mich durch InApp-Käufe verschulde, wenn ich ständig prüfe, ob ich neue Likes in SocialMedia habe oder ob jemand meinen Artikel kommentiert hat, und daran mein Leben ausrichte, dann kann man von Sucht reden. Aber bei meiner Handynutzung sehe ich es (zumindest das Grundproblem) anders.

Ich bin abhängig von dem Gerät auf dem ich ca. 50 nützliche Tools installiert habe, dir mir helfen, den Alltag zu strukturieren! Und damit meine ich nicht die von Haus aus vorhandene Taschenlampe, Wecker und Fotofunktion.
Ich nutze Bürosoftware (Word, Excel, PDF, Mail, Browser, etc.) und offline Bibelsoftware, Meditationshilfen und Banking-Apps, Fitness-Tracker und Offline-Navigation. Ich buche Bahntickets, Mietauto und Mietfahrrad über das Gerät produziere mit Canva bzw. InShow Medien und benutze zahlreiche SocialMedia-Kommunikations-Apps. Ach und Telefonieren tue ich auch noch mit 2 Sim-Karten.
Und all das fehlt auf einmal, wenn das Smartphone ausfällt.

Marshall McLuhan hat in den 60ern mi Blick auf die elektronischen Medien seiner Zeit gesagt, dass sie Erweiterungen unseres Körpers sind. Das Fernsehen erweitert unser Blickfeld, das Telefon lässt uns entferntes hören. Durch Telegrafen können wir uns global mitteilen. Wir nuzen diese Werkzeuge, um mehr wahrzunehmen und effektiver zu produzieren. Dabei gibt es natürlich auch Schattenseiten und Gefahren wie Aufmerksamkeitsökonomie oder Selbstwertverlust durch falsche Vergleiche, Aber erstmal erweitern wir unsere Möglichkeiten. Und das sehe ich auch heute noch: Ich erweitere wie ein Cyborg oder ein Exoskelett meine Körperfunktionen enorm und steigere meine Produktivität indem ich quasi ein ganzes Büro und eine Bibliothek in der Hosentasche trage. Das hat mich unglaublich viel Aufwand in der Einrichtung gekostet und wenn ich jetzt 2 Wochen mit einem „Ersatzgerät“ unterwegs bin, fühltes sich an, als hätte ich mir Körperteile abgeschnitten. Ich bin nicht voll leistungsfähig.

Zum Beispiel habe ich einmal verschlafen, weil mein Ersatz-Wecker mich nicht wie geplant geweckt hat, konnte Termine nicht mit Blick auf das ganze nächste Jahr machen und eingehede Mails nicht direkt bearbeiten, weil die Dienstproramme fehlten. Ich musste meine Bahntickets ausdrucken, hatte in der Innenstadt echte Schwirigkeiten, eine Adresse nur aufgrund von Karte und Straßennamen zu finden und konnte nicht in einem Meeting aktuelle Themen live recherchieren. Entspannung und Information durch Musik und Medien fehlten mir. Menschen konnten mich nicht verlässlich erreichen und ich bestimmte Infomationen nicht passend teilen.
Natürlich habe ich auch gemerkt, dass ich garnciht der Nabel der Welt bin, ich nicht immer erreichbar sein muss und mich auch durchaus im „Hier und Jetzt“ verwirklichen kann statt mit der ganzen Welt verbunden zu sein.

Für den Fall eines Komplettausfalls von Strom/Internet/Mobilfunk möchte ich gerne immer mal testen, was ich ohne XY tun würde. Wie weit geht meine Abhängigkeit und wo kann ich autark weiter handen/arbeiten/überleben. Einige Menschen bauen sich ja gerade mit Balkonkraftwerken und lokalen Stromspeichern kleine Insellösungen, um im Notfall zumindest den nötigsten Strom für Kühlschrank, Handy und Wasserkocher zu haben. Andere investieren in Peer2Peer-Kommunikations-Netze, um auch ohne zentrale Serverinfrastruktur kommunizieren zu können. Und wieder andere legen sich gedruckte Listen an, um wichtige Daten auch anaog vorzuhalten.

Ich finde es bis zu einem gewissen Grad aber OK, von digitalen Medien abhängig zu sein. So wie ein Berufspendler abhängig von seinem Auto als Transportmittel ist und ein Häusebauer abhängig von der Bankfinanzierung bin ich abhängig von den digitalen Tools, die mir hefen, im Alltag zu funktionieren. Ich bin auch ohne lebensfähig, aber wenn sie ausfallen, setze ich zuerst alles dran, meine fehlenden Gliedmaßen wieder herzustellen, bevor ich den Schritt gehe, mit dem, was gerade geht, weiterzuarbeiten. Also nicht nur zu weinen, was ich gerade nicht habe, sondern vor Ort zu tanzen, zu tippen, zu lesen Menschen zu treffen. In sofern erhalte ich mir eine eigenständige Kreativität auch mit einfachsten Mitteln, bis das große digitale Besteck wieder einsatzfähig ist.

Wie immersiv schaust du Serien?

Früher war es ja normal, dass im Fernsehen eine Folge pro Woche zur fixen Zeit ausgestrahlt wird. Das plant man ein, schaltet schon ein paar Minuten früher ein bzw. wenn man es versäumt, muss man sich erzählen lassen, was man verpasst hat. Mein Input richtet sich nach dem Angebot. Mittlerweile ist es durch Netflix, Mediatheken und Co üblich geworden, dass man unabhängig vom linearen Programm ganze Staffeln am Stück „binge“ sehen kann. Und die Folgen Rahmen an Anfang und Ende werden dabei immersiver, also fesselnder, spannungsreicher, die Cliffhanger machen es sehr schwer, nach einer Folge abzuschalten und Teaser vor dem Vorspann nehmen direkt gefangen. Ich erinnere mich, wie ich nachts um 1 mit Freunden unbedingt noch eine Folge „Westworld“ schauen musste, weil es unmöglich schien, so schlafen zu gehen und es um 2 nach der nächsten Folge genauso war. Selbst bei den internen Staffelfinalen von „The Expanse“ oder „Dark“ ist es nicht einfach, abzuschalten Die Serie will mit ungelösten Fragen in deinem Kopf bleiben. Für das Franchise sicher gut, für das Wohlbefinden der Zuschauer oft nicht leicht.

Die zweite Staffel „Upload“ habe ich an einem Abend durchgesehen. So wie ein langer Film mit kurzen Pinkelpausen alle 40 Minuten. Hinterher wirkt das Thema noch ein paar Tage nach und prägt meinen Alltag. Ich verbringe den Abend, das Wochenende oder eine Periode meines Lebens mit diesen Charakteren und ihren Fragen. Ich erlaube den Produzenten, meine Realität, mein Denken, meine Weltwahrnehmung zu prägen. Je immersiver eine Serie ist, desto wichtiger ist es, dass die Thematik zu meiner Lebenssituation passt. Nach einer Trennung konnte ich mit Sheriff Carter in „Eureka“ mitfiebern und als Jungakademiker hat „The Big Bang Theory“ viele meiner Lebensfragen behandelt. Als Medienwissenschaftler schaue ich gerne auch innovative deutsche Serien (wie die „Ku’damm“ Trilogie , „Tatortreiniger“, „Ijon Tichy“ oder „Liebe.Jetzt!“ ) oder lasse mich auf fremde Blickwinkel auf die Realität ein wie bei „Ich dich auch“ oder „Nix festes“. So lerne ich, mich selbst zu hinterfragen und zu überlegen, wo ich in der Story stehen würde. Bei „Bridgerton“ und „Game of Thrones“ kann ich Machart und Atmosphäre mitfühlen, habe mich aber gegen das aufsaugen entschieden, weil die Themen nicht zu meinem Leben gepasst haben. Da muss jeder auf die eigene Seele und Zeit achten und ehrlich entscheiden. „Squid Game“ war zum Beispiel nicht mein Stil, hat mich aber ethisch im letzten Drittel überrascht. „Mr. Robot“ hingegen hat mich in der zweiten Staffel verloren, weil ich versucht habe, eine Folge pro Woche zu sehen. Ganz oder gar nicht scheint für mich also zu passen.

Den sogenannten Belohnungsaufschub, wenn man Bedürfnisbefriedigung bewusst aufschiebt kann ich nicht so gut. Interessant ist daher, dass Amazon oder Sky bei einigen Serien bewusst nur eine neue Folge pro Woche als Premiere veröffentlichen. Gerade schaue ich „Star Trek: Picard“ und versuche, die Anspannung bis zum nächsten Wochenende auszuhalten. Das fällt beim Ausschalten nicht leicht. Aber ich beobachte, dass ich dann manchmal sogar 2 oder 3 Wochen warte (wenn am Wochenende anderes anliegt), um gleich mehrere Folgen am Stück sehen zu können. Ich lasse mich also fangen, entkomme der Immersion, um mich dann wieder ganz zu ergeben. Ob das gesund ist, will ich nicht bewerten. Aber es ist mein Lernweg zwischen Sucht und Selbstbestimmung. „Star Trek: Discovery“ auf Pluto mit festem Sendeplan habe ich abgebrochen (obwohl die Storyline und Einzelthemen mich ansprechen). Aber meinen Tagesablauf nach dem Sendeplan richten, war eine zu große Hürde und als ich um Weihnachten 2 Folgen verpasst hatte (es gibt bei pluto keine Mediathek Funktion) war ich raus.

Das ist jetzt eine persönliche Beobachtung, die nicht auf alle zutreffen muss, aber ich glaube, dass die Zeit des linearen TV vorbei ist, Menschen sich aber immer noch nach Gleichzeitigkeit von Erfahrungen sehnen und Mediatheken mit Premiereterminen dieses Dilemma treffend ansprechen.

Reale Virtualität

„Ist etwas real oder nur virtuell?“ fragen Menschen immer wieder. Oder sie stellen virtuelle Onlinetreffen als defizitär neben „reale“ Treffen, bei denen man sich „wirklich“ begegnet. Ich kann verstehen, was Menschen damit aussagen wollen, möchte aber eine Lanze dafür brechen, gleichberechtigt von „physischer und virtueller Realität“ zu sprechen, um nicht vorzuverurteilen, sondern je nach Kontext und Bedürfnisen verschiedene Realitätsebenen weise nutzen zu können.

Auslöser für diesen Artikel ist ein Podcast von Johannes Hartl zum Thema „Keine Angst – trotz Corona und Metaverse„. Ich möchte ausdrücklich erwähnen, dass ich den Vortrag großartig finde, weil er in besonnener Form gesellschaftliche Entwicklungen zur Aufmerksamkeitsökonomie darstellt und zur Eigenverantwortung bei der Nutzung digitaler Dienste aufruft. Also absolute Seh- bzw. Hörempfehlung. Aber auf dem Weg zu einer Hochachtung der physischen Begegnung greift Johannes Hartl zu einem üblichen Trick (oder ist es Unachtsamkeit?), dass er das körperliche als einzig ernsthafte Realität darstellt (etwa bei Minute 33). Und gerade, weil ich ihm in vielem anderen zustimmen kann, möchte ich an der Stelle sensibilisieren, warum wir einen offeneren Realitätsbegriff brauchen.

Was ist real? Natürlich ist Materielles real. Schau dir deine Hand an, die Finger, die du bewegen kannst sind real. Aber auch das Buch auf dem Schreibtisch ist real. Das Bild an der Wand ist real.
Aber was ist mit dem Buch, das du als ebook oder Hörbuch-Download liest? Es ist nicht materiell, aber der inhalt prägt dich genauso real. Das digitale Urlaubsfoto erinnert dich ganz real an den schönen Familienurlaub, auch wenn es nicht physisch an der Wand hängt, sondern dein Smartphone schmückt.

Und jetzt denk mal an deine Großmutter (oder jemanden, der dir wichtig war, aber nicht mehr lebt). Diese Person ist nicht mehr körperlich vorhanden, aber hört sie damit auf, real zu sein?
Als Erinnerung prägt sie weiterhin dein Leben. Erinnerungen bleiben und beim Austausch über vergangene Zeiten spüren wir emotionale Verbundenheit, wenn wir über gemeinsame Familienereignisse oder Jugendfreunde reden. Und das überlieferte Gulaschrezept meiner Oma beeinflusst bis heute, wie ich koche und somit auch das physische Leben von mir und meinen Freunden. So bleiben immaterielle Dinge in unserem Kopf, Fotos, Videos oder aufgeschriebenen Texten durchaus real.

Oder ganz konkret: Denk an einen roten Apfel. Stell dir vor, wie er ausschaut, wie er riecht, dreh ihn in deinem Kopf und betrachte ihn von allen Seiten. Beiß rein und stell dir vor, wie er schmeckt. Jetzt hast du in deinem Kopf eine recht genaue Vorstellung von deinem virtuellen Apfel, ohne dass er materiell existent wäre. Wenn du mir dann von deinem Apfel erzählst (oder es aufschreibst), kann ich mir deinen Apfel auch vorstellen. Vielleicht nicht exakt so, wie in deinem Kopf, aber ich bekomme eine Ahnung davon. Und wenn ich dir von meinem Apfel erzähle und jemand drittes noch von einer Orange, Birne, Banane, können wir uns gegenseitig austauschen und einen wunderbaren virtuellen Obstsalat daraus machen. Und wer künstlerisch begabt ist, kann diesen vielleicht sogar malen und durch dieses Bild anderen Lust auf Obstsalat machen. Natürlich kann der virtuelle Obstsalat nicht satt machen, aber er verändert unsere Realität, weil wir vielleicht Lust auf Obstsalat bekommen und uns gesund ernähren. Und wer sich in einem Onlineforum über Obstsalat austauscht, prägt damit mitunter auch die physische Realität von Menschen, die man nie getroffen hat und nicht persönlich kennt.

Wir Menschen sind Wesen mit Körper, Geist und Seele. Wenn ich also Luft, Wasser, Nahrung aufnehme, dann versorge ich damit den physischen Teil meiner Existenz. Genauso sollte ich meinen intellekt mit guten, wahren und schönen Informationen, Geschichten und Ideen füttern und meine spirituelle Seite mit geistlichen Begegnungen bereichern. Die geistige und geistliche Ebene sind dabei genauso realer Bestandteil unseres Seins wie die körperliche, nur eben nicht materiell. Gottesbegegnungen, Intellektuelle und Herzensbegegnungen sind mitunter sogar relevanter als nur den Leib am Leben zu halten. Und ohne virtuelle Telekommunikation würdet ihr diesen Artikel auch gar nicht lesen, weil wir uns vermutlich gerade nicht physisch begegnen. Wenn wir also über die Unterschiede zwischen den Realitätsformen reden, sollten wir diese drei Ebenen in ihrer jeweiligen Funktion und Begrenzung ernst nehmen und nicht vorschnell eine der drei Realitäten zur alleinigen Norm erheben. Und dann lasst uns gemeinsam an einer Zukunft arbeiten in der wir möglichst frei und selbstbestimmt miteinander Leben teilen und ganzheitlich kommunizieren.

BTW: Wer sich für das Thema aus wissenschaftlicher Sicht interessiert, findet in meiner Diss (von 2013) theologische und kommunikationstheoretische Grundlagen zur Frage nach realer Virtualität: “ Kommunikation des Evangeliums für die Web-2.0-Generation : virtuelle Realität als reale Virtualität“

Über sehen

Momentan wird ja viel darüber geredet, was wir sehen:
Sollen Kinder und Jugendliche echte Kriegsbilder sehen? Ist es gefährlich, junge Menschen auf TikTok und Instagram ungefiltert alles ansehen zu lassen? Schadet zu viel Digitalkonsum den Augen?

In dem Zusammenhang ist mir eine Unterscheidung zwischen drei Arten des optischen Wahrnehmens begegnet, die man anhand der englischen Entsprechungen erklären kann:

to see
Etwas unbeteiligt wahrnehmen. Sehen tun wir permanent, das meiste wird schon weggefiltert, bevor es unser Großhirn überhaupt erreicht. Aber spannend ist schon, was in unser Blickfeld kommt. In welcher Umgebung halten wir uns auf? Die schneebedeckte Bergkuppe bietet ein anderes Panorama als das abgedunkelte Kellerbüro. In der Innenstadt nehmen die Augen viel mehr Reize auf als auf dem freien Feld, dafür ist die Weitsicht sehr eingeschränkt. Du bestimmst (meist), in welcher Umgebung du dich aufhältst und was deien Augen sehen.

to look at
Etwas bewusst anschauen und wahrnehmen. Wenn ich durch die Stadt laufe sehe ich so einiges, ohne es wirklich wahrzunehmen. Entscheide ich mich, das steitende Pärchen am Straßenrand wahrzusehen? Sehe ich den Obdachlosen am Straßenrand an oder registriere ich ihn nur aus dem Augenwinkel? Was bekommt meinen Fokus? Schaust du der attraktiven Frau hinterher oder siehst du die alleinerziehende Mutter, die Hilfe an der Straßenbahn braucht? Da, wo wir sind, setzen wir aktiv Filter, was wir wahrnehmen wollen.

to watch
Etwas mit emotionaler Verbundenheit oder bewusstem Interesse verarbeiten. Wenn du im Café sitzt, schaust du den Kindern am Spielplatz zu, wie sie spielen? Den Menschen, die gemeinsam shoppen? Dem Eichhörnchen am Strauch vor dem Fenster? Oder den Studierenden am Nachbartisch? Das Leben um uns herum erzählt Geschichten. Oft bin ich in meiner eigenen Welt gefangen und nehme nichts wirklich wahr, aber wenn ich mich darauf einlasse, bin ich oft begeistert (oder erschüttert), welche Dramen sich direkt um mich herum abspielen. Und diese tiefe Wahrnehmung kann mich zu einem dankbaren oder Fürbitte-Gebet motivieren. Das, was ich optisch an mein Herz lasse, kann ich mit Gott teilen.

Mit dem Herzen sehen
Was lassen wir an unser Herz?
Wovon lassen wir uns prägen?
Wo schaltest du bewusst ab, um dein Herz zu schützen?
Wovon lässt du dein Herz für die Not anderer erweichen?
Was tut gut und erbaut? Was manipuliert und belastet?
Gut, dass wir eigenständig entscheiden können, was wir in welcher Intensität sehen!

übersehen
Und noch eine Beobachtung: Wenn ich zu viel herausfiltere, kann ich auch wichtige Dinge übersehen. Eine rote Ampel, weil ich in Gedanken war. Anzeichen, dass es einem Freund nicht gut geht, weil ich nicht wirklich zugehört habe. Potentiell negative Folgen einer langfristigen Entscheidung, weil ich sie nicht genau durchdacht habe. Es hilft, präsent zu sein und sich bewusst zu machen, wo ich gerade bin und was meine Aufmerksamkeit hat. Denn am Ende ist es das Bedürfnis eines jeden Menschen, gesehen zu werden. Und wenn wir anfangen uns gegenseitig wirklich wahrzunehmen schaffen wir Herzensgemeinschaft und werden auch selber gesehen!

If the thrill is gone, than it’s time to take it back

Der Rocktitan Meat Loaf war einer der bedeutendsten Musiker des letzten Jahrhunderts und hat seit den 1970er Jahren über 100 Millionen Tonträger seiner theatralisch opulenten Rockmusik verkauft. Als letzte Woche seine Todesnachricht durch die Nachrichten ging, habe ich bewusst nochmal das Best-of-Album durchgehört. Faszinierende Musik, die mit lauten Drums, elektrischen Gitarren und einer wuchtigen Stimme Emotionen hervorruft. Zwischen verschiedenen Emotionen kann man sich zu dieser Musik in Extase tanzen und auf angenehme Weise abreagieren. Denn bei Meat Loaf kann man (zumindest ich) nicht ruhig sitzen bleiben.

Als verspätete Homage an den Rocksänger Meat Loaf († 20.1.2022) und musiktherapeutische Analyse meiner Lebens-Situation habe ich mich intensiver mit dem Titel „Everything louder than everything else“ (Album: Bat out of Hell 2, 1993) beschäftigt. Ich empfehle, es beim Weiterlesen im Hintergrund laufen zu lassen.

Es ist ein Lied, das nicht nur musikalisch aktiviert, sondern auch inhaltlich spannende Akzente für ein selbstbestimmtes Leben in einer oft monotonen Welt setzt. Ein wenig wie Julia Engelmann (One day, baby) für Rock’n’Roller…
Meat Loaf (bzw der Produzent Jim Steinmann, der für ihn den Song geschrieben hat) tritt in den acht Minuten Power-Rock in einen Diskurs zwischen Effektivität und Lebenslust. Ich werde mir anhand der Textzeilen die Frage stellen, wie ich in meinen Vierzigern (Meat Loaf war bei der Aufnahme 46) meinen Platz zwischen der unbeschwerten Jugend und dem weisen Alter finde.

Wasted Youth!

Mit dem vorgeschalteten Sprechchor „Wasted Youth“, der später noch öfters ertönt, greift Meat Loaf die vielgeäußerte Kritik der etablierten Gesellschaft an jungen Menschen auf, sie würden ihre Jugend verschwenden mit Partys, Festivals oder anderen unproduktiven Dingen. Ich mag es nicht, den negativ konnotierten Begriff der Ankläger zu verwenden, würde lieber von „zwangloser Jugend“ reden, was auch später besser passt als von etwas verschwendetem zu sprechen. Gleichwohl ist es für die dramaturgische Spannung des Liedes wichtig, gleich zu Beginn die anklagenden Stimmen der gesellschaftlichen Vernunft wahrzunehmen gegen die der Rocksong rebelliert.

I know that I will never be politically correct
And I don’t give a damn about my lack of ettiquette
As far as I’m concerned the world could still be flat
And if the thrill is gone then it’s time to take it back

In unserer Gesellschaft wollen wir es oft allen recht machen, nicht anecken, achten auf Etiquette und politische Korrektheit. So sehr ich diesen Anspruch der inklusiven und nicht diskriminierenden Kommunikation im Umgang mit Minderheiten mag, wird daraus manchmal ein lähmendes Korsett, das Kreativität und Leidenschaft ausbremst. Wo haben wir die Leidenschaft verloren, weil wir zu vielen Regeln gefolgt sind?

Who am I? Why am I here?
Forget the questions someone get me another beer
What’s the meaning of life? What’s the meaning of it all?
You gotta learn to dance before you learn to crawl.

Gerade als Theologe beschäftige ich mich oft mit den großen Fragen. Wer bin ich? Warum bin ich hier? Warum sind Dinge wie sie sind oder wie könnte es anders sein? Diese Fragen haben ihren Wert, aber manchmal muss man einfach mal ein Bier zusammen trinken. Ich teile die Erfahrung, dass man nach einem Glas Bier (oder Wein etc) mitunter offener redet und die wirklich wichtigen Themen auf den Tisch kommen. Wichtig ist also nicht der Pegel, sondern ab und zu entspannt das Leben zu genießen, offen zu reden und zu Tanzen. Tanzen lernen, bevor man elanlos herumkrabbelt, um es allen recht zu machen.

So sign up, all you raw recruits
Throw away those designer suits
You got your weapons cocked, your targets in your sights
There’s a party raging, somewhere in the world
You gotta serve your country, gotta service your girl
You’re all enlisted in the army of the night

Jedes Jahr starten junge Berufseinsteiger voller Elan ins Leben und versauern als Anzugträger in sterilen Büros ohne wirklich zu leben. Irgendwas ist immer los, manchmal bringt man sich gesellschaftlich ein, manchmal kümmert man sich um Partnerschaft oder Familie und manchmal gehört uns die Nacht, wenn wir den inneren Rockstar wach halten. Rollen prägen uns, und wir müssen entscheiden, was unseren Charakter langfristig prägen darf!

And I ain’t in it for the power
And I ain’t in it for my health
I ain’t in it for the glory of anything at all
And I sure ain’t in it for the wealth
But I’m in it til‘ it’s over and I just can’t stop
If you want to get it done, you have to do it yourself

Jetzt wird es doch wieder philosophisch: Warum leben wir eigentlich? Ich bin nicht hier, um Macht zu haben, um lediglich gesund zu bleiben, um irgendeinem System zu huldigen oder reich zu werden, sondern ich koste jeden Moment meines Lebens aus, singt er. Warte nicht auf andere, sondern mach, was für dich dran ist.
Ich würde gerne ergänzen, dass man in sozialen Systemen nicht nur für sich selbst Verantwortung trägt. Aber wenn dieser Gedanke zu stark wird, höre ich: Du musst mit dir selbst leben können – bis zum Schluss. Also sorge dafür, dass bei aller Fürsorge deine Bedürfnisse nicht zu kurz kommen!

And I like my music like I like my life:
Everything louder than everything else

Damit sind wir bei der ersten Kernbotschaft angekommen, die über 30x wiederholt werden wird. Was ich tue, sage, denke, lebe soll lauter sein als das, was mir von außen entgegenschreit, mich klein halten oder kompatibel machen will. Der laute Rocksong setzt perfekt um, was Meat Loaf singt, schreit, fühlt. Ich möchte gehört werden und sein dürfen, wie ich bin! Kontrastiert wird dieser Ruf im Lied immer wieder durch die Kritik der „Wasted youth!“ gegen die er beharrlich ansingt.

They got a file on me that’s a mile long
And they say that they’ve got all of the proof
That I’m just another case of arrested development
I’m just another wasted youth

Wie in einer Polizeiakte haben „sie“ eine kilometerlange Beweisliste: entwicklungsgestört, Jugend verschwendet. Nicht büffeln für das perfekte Abi, den lückenlosen Lebenslauf oder das zuträglichere Praktikum, sondern ein Road-Trip oder Festival-Sommer? Einige nennen das „Vergeudete Jugend“ andere genau das richtige, solange man jung ist?…
Was zählt im Leben wirklich und von wem lässt du dir sagen, wie du leben sollst?

They say that I’m in need of some radical discipline
They say I gotta face the truth
That I’m just another case of arrested development
I’m just another wasted youth

Zugegeben, manchmal tut auch etwas Disziplin gut! Eine angefangene Ausbildung abschließen, auch wenn es nervig wird. Zu einer Beziehung stehen, auch wenn das Arbeit bedeutet. Sich auf einen festen Job einlassen statt von Tag zu Tag zu leben, hat etwas für sich. Aber es hat auch seine Grenzen, immer nur für das höhere Ziel zu ackern statt zu leben.

They say I’m wild and I’m reckless
I should be acting my age
I’m an impressionable child In a tumultuous world
And they say I’m at a difficult stage

Das Partyleben mit 20 wird ja oft toleriert, aber wenn man mit 40 noch auf Studentenpartys geht und das Leben genießt, wird das Verständnis kleiner. Man müsste doch langsam erwachsen werden. Und ja, die Prioritäten haben sich bei mir in den letzten 20 Jahren verschoben. Aber wer definiert eigentlich, was in welchem Alter „normal“ ist? Klar, wenn ein Paar Kinder bekommt, hat man danach 20 Jahre lang ein vorgezeichnetes Leben mit frühem Morgen, Urlaub in den Schulferien und Ausflügen am Wochenende. Lange Kneipenabende, wilde Tanzpartys oder Exzesse passen da nur bedingt. Man darf auch erwachsen werden. Aber wenn man mit 42 keine Kinder hat? Soll man dann leben als hätte man welche, nur weil man älter ist? Oder muss man dann mit den jungen Wilden feiern gehen (falls die trotz Bolognaprozess noch Zeit zum Feiern finden) und zumindest mental jung bleiben? Manchmal habe ich das Gefühl, in einem „komplizierten Alter“ zu sein…

But it seems to me to the contrary
Of all the crap they’re gonna put on the page
That a wasted youth is better by far
Then a wise and productive old age

Auf der anderen Seite schreit mir Meat Loaf sein Credo entgegen. Statt auf den Bericht zu schauen, was alles nicht zu passen scheint, ist in Anlehnung an den biblischen Prediger eine „zwanglose Jugend“ viel mehr wert als ein weises und produktives Alter. Produktiv sein kann ich gut, weise Gedanken machen mich aus, aber schaffe ich es, mir dabei die zwanglose Jugend zu erhalten? Ich mag den schwarz-weiß-Kontrast an der Stelle nicht, eins gegen das andere auszuspielen.
Vielleicht kann man es so sehen: Manchmal muss man vernachlässigte Positionen besonders überbetonen, um sie gleichwertig werden zu lassen. Und je reifer wir werden desto mehr verdrängen wir oft die Lebensfreude. So kann dieses Mantra uns daran erinnern, in aller produktiven Altersweisheit nicht die scheinbar vergeudete Zwanglosigkeit eines unverplanten Lebens zu vergessen. Sie ist in der zweiten Lebenshälfte sicherlich nicht alles, was zählt, aber ich möchte sie mir gerne erhalten. Vielleicht als „wise and productive wasted time“?

If you want my views of history
Then there’s something you should know
The three men I admire most are Curly, Larry, Moe

Wenn man dich fragt, wer die bedeutendsten Menschen waren, wen würdest du nennen? Vielleicht Jesus oder berühmte Theologen, Naturwissenschaftler, Vorbilder, Dichter und Denker, Erfinder und Lenker. Oder eben drei Komiker (The Three Stooges waren Slapstick-Comideans, in den USA ähnlich berühmt wie Laurel und Hardy), die die Welt zum Lachen bringen.
Auch ich finde Loriot, Heinz Ehrhardt oder Monty Python bewundernswert. Wir sollten uns mit Menschen umgeben, die uns zum Lachen bringen.

Don’t worry about the future. Sooner or later it’s the past

Zum Ende des Textkorpus wird es nochmal biblisch: Macht euch keine Sorgen um die Zukunft, sondern vertraut und genießt das Leben. Amen! Wer sich nur um die Zukunft kümmert wird irgendwann merken, dass sie Vergangenheit geworden ist, ohne dass man die Gegenwart gelebt hat.

if they say the thrill is gone then it’s time to take it back …

Hier wäre ein typischer Radiosong (mit knapp 5min schon mit Überlänge) zu Ende. Meat Loaf aber nicht. Er wiederholt in leichter Abwandlung den Aufruf an die junge Elite, sich nicht vom System vereinnamen zu lassen, weil es nicht auf Geld, Macht und reines Überleben ankommt. Kämpfe für das, was dir wertvoll ist! Und lebe so laut, dass andere es mitbekommen, dass dein Leben andere dazu bringen kann, aus ihrem Alltagstrott rauszukommen und ihre eigene Leidenschaft wiederzuentdecken. Sei lauter als der Lärm dieser Welt. Sei länger als Statistiken für den perfekten Song ausrechnen und sei ein Unikat statt Massenware.

Ich will ein lautes Unikat sein und mein Leben so leben, dass es andere zum Nachdenken, zum Genießen und zum Lachen bringt. Ich freue mich, wenn das bereits gelingt und wo ich immer wieder mal den Fokus verliere freue ich mich, wenn mich gute Freunde oder Lieder wie dieses lautstark daran erinnern, mal wieder wild zu tanzen und dem inneren Rock’n’Roll treu zu bleiben!

Wake Up Neo – Ein Überblick über das Matrix-Universum

SPOILER-Alarm zu The Matrix, Matrix Reloaded, Matrix Revolutions, Animatrix und Matrix Resurrections je ein Absatz

The Matrix (1999)

Ist eigentlich real, was wir um uns herum wahrnehmen? Haben wir die freie Wahl? Oder träumen wir und uns wird nur eingeredet, dass wir selbstbestimmt aufstehen, zur Arbeit gehen und das Leben gestalten? Seit rund 20 Jahren stellen Filme im Matrix-Universum diese und ähnliche Fragen. Was ist der freie Wille? Gibt es eine Vorsehung? Müssen wir Kämpfen und Verhandeln oder reicht Vertrauen und Lieben aus? In den Filmen scheint eine gute Mischung aus allem der Königsweg zu sein. Dabei wurden immer wieder die christlichen Anklänge betont, buddistische Gedanken herangezogen, antike Mythen und moderne Ästhetik kombiniert. Neos Reise beginnt mit einer Entscheidung zwischen Traum und Wahrheit. Morpheus vertraut der Prophezeihung, Neo findet zu sich selbst und wird durch sein Opfer und die Liebe Trinitys zum Auserwählten. Doch damit beginnt seine Reise erst.

Matrix Reloaded (2003)

Im zweiten Film wird deutlich, dass schon bald Zion, die zentrale Zufluchtsstätte der Menschen, durch die Maschinen angegriffen wird und zerstört werden soll. Wieder bereitet man sich (in der physischen Welt) auf einen großen Krieg vor und versucht gleichzeitig (in der Matrix) eine friedliche Lösung zu finden. Menschliche Entscheidungen (für oder gegen eine Beziehung, einen Einsatz oder eine Befehlsverweigerung) prägen den Verlauf. Wir lernen Programme kennen, die sich im Untergrund der Matrix eine eigene Existenz aufgebaut haben, das System über Hintertüren nutzen und zu ihren Gunsten verändern können. Gleichzeitig erzählt der Architekt, dass alle Anomalien und Hoffnungen der Menschheit lediglich vom System toleriert werden, um die Illusion der Freiheit aufrecht zu halten. Laut ihm ist Neo nicht der Retter, sondern ein Werkzeug zur Systembereinigung. Alle seine Vorgänger hätten sich für das Wohl des Volkes entschieden, doch er entscheidet sich für die Liebe einer einzelnen Person.

Matrix Revolution (2003)

Im dritten Film findet schließlich der Angriff der Maschinen statt. Alle menschliche Gegenwehr ist machtlos. Zion scheint verloren. Wenn nicht gleichzeitig Neo seine mentalen Fähigkeiten auf ein neues Level heben und die Maschinen physisch angreifenen würde. Er hat in der Matrix gelernt, dass man festgelegte Abläufe unterwandern kann. Gleichzeitig steigert der ehemalige Agent Smith seine systemsprengende Identität analog zu Neos steigender Macht. Scheinbar hatte diese Entwicklung niemand vorhergesehen. So hat Neo eine Verhandlungsposition gegenüber den Maschinen: Er ist der einzige, der Smith stoppen kann, indem er sich selbst mal wieder opfert. Als Gegenleistung fordert er Freiheit und Frieden zwischen Menschen und Maschinen. Wie genau das aussehen soll, wird nur angedeutet und könnte in Matrix Ressourections 2021 gelüftet werden.

Animatrix (2003)

Zwischen Teil 2 und 3 wurde zusätzlich die „Animatrix“ als Anime-Kurzfilmsammlung veröffentlicht. Viele haben spekuliert, in welcher Reihenfolge man diese 9 Filme und die 3 Movies sehen sollte. Klassisch würde die Animatrix zwischen Teil 2 und 3 gehören. Dramaturgisch könnte sie auch schon zwischen Teil 1 und 2 passen und so die verbundenen Teile 2+3 nicht unnötig trennen. Vor Teil 1 sollte man sie nicht schauen, weil einige Clips die Vorgeschichte spoilern würden. Ich würde daher folgende Reihenfolge empfehlen (Counterstände der AmazonPrime-Version):

Sinnvolle Seh-Reihenfolge für Neueinsteiger im Matrixuniversum:

  • The Matrix (Film 1)
  • The second Renaissance Part 1 (Schöpfung der KI bis Verbannung der Roboter) 0.00
  • The second Renaissance Part 2 (Apokalyptischer Krieg zwischen Menschen und Maschinen)
  • A detective Story (In einer Film Noir Szenerie versucht Trinity einen Detektiv zu befreien) 57.10
  • Kid’s Story (Ein Schüler flieht vor Agenten, stirbt im Glauben an Neo, um sich selbst zu befreien) 34.36
  • Final Fight of the Osiris (Ein Hovercraft entdeckt an der Erdoberfläche das Heer der Maschinen und versucht im letzten Gefecht Zion zu warnen. Direkte Vorgeschichte zu Matrix 2) 1.23.00
  • Matrix Reloaded (Film 2)
  • ggf passen hier Computerspiele: „Enter the Matrix“ (zeigt die Inhalte von Reloaded aus anderen Perspektiven) und „Path of Neo“ (Von Thomas A. Anderson bis Reloaded).
  • Beyond (Ungewöhnliche Dinge geschehen im Spukhaus, bis es umprogrammiert wird) 56.12
  • World Record (Ein Sprinter gibt alles, um sich durch Überlastung aus der Simulation zu befreien) 26.00
  • Program (Diskussion über Wahrheit und Wiedereingliederung in einer asiatischen Kampf-Simulation) 18.40
  • Matrix Revolutions (Film 3)
  • Matriculated (Menschen fangen Maschinen, um sie zu konvertieren und für sich kämpfen zu lassen) 1.07.00
  • Matrix Resurrections (Film 4)

Matrix Resurrections (2021)

Aufgrund der Trailer zu Matrix Resourrections scheint es nicht um eine neue Realitäts-Erweiterung (die gezeigte zerstörten Erde ist auch nur eine Illusion) zu gehen, wie einige Szenen in M3 angedeutet hatten, sondern die nächste Verison der Matrix nach einem Reboot zu zeigen. Der Trailer zeigt, wie Neo und Trinity sich in einer Simulation begegnen, ahnen, dass sie sich kennen, aber sich nicht erkennen. Es könnte sein, dass der Film stilistisch an den erfolgreichen ersten Teil anschließt und inhaltlich den Reboot am Ende von M3 aufgreift, ohne die Handlung der gesammten Trilogie vorauszusetzen.

**ab hier Spoiler zu Matrix Resurrections!**

Der erste Eindruck des vierten Spielfilms ist durchaus positiv. Zwar irritert die erste halbe Stunde ein wenig, zeigt aber auch die Größe der Urheber, über sich selbst und das Franchise auf der Metaebene zu schmunzeln. Tatsächlich sehen wir Thomas Anderson, der als Programmierer in einer simulierten Realität arbeitet. Allerdings ist er Chefentwickler einer dreiteiligen Computerspielreihe, die dem Inhalt der ersten drei Matrixfilme entspricht. Er wurde also als nützlich in der Maschinenwelt wieder eingegliedert und sein Gedächtnis an die Ereignisse wird ihm als seine kreative Fantasie vorgeführt. Ein Psychologe hilft ihm mit guten Worten und täglichen blauben Pillen dabei, nicht dem Irrglauben zu verfallen, es gäbe tatsächlich so eine weitere Realität. Und in einer fast slapstickhaften Szene diskutiert sein Team darüber, wie ein vierter Teil der berühmten Trilogie aussehen könnte. Also genau das, was sich viele Fans gerade fragen, wird im Film ausgesprochen. Ein interessanter Meta-Kniff, bevor Neo dann doch befreit wird, um in der Realität für die Menschen zu kämpfen.
Die Telefone sind jetzt Portale. Die Technik insgesamt schicker und smarter, aber immer noch findet man keinen Ausgang, wenn man grad einen braucht. Die Menschen leben jetzt gemeinsam mit friedlichen Maschinen in einer neuen unterirdischen Stadt mit „neuem Himmel und neuer Erde“: IO (also input-output bzw. binär für 2 und Spiegelwelt zu ZeroOne, der Maschinenstadt) Neos Mission war also erfolgreich und das Zusammenleben von Menschen und Maschinen scheint durchaus erfolgreich zu sein. Das alte „Gegeneinander“ ist vorbei, gemeinsam kommt man weiter. Dafür bekriegen sich auf der Oberfläche jetzt die smarten Maschinen untereinander und eine neue, verbesserte Version der Matrix hält die Menschen so gut beschäftigt, dass viele gar nicht entkoppelt werden wollen. In der Matrix taucht ein neuer Verräter-Freund (genannt Jude) auf, Smith versucht sich im autonomen Machtstreben mal für mal gegen die Helden und der alternde Merowinger deutet trotzig an, dass er nochmal wichtig werden wird, während Sati (das Ubahnkind aus M3) ihre Kreativität und Liebe ganz konkret für das Gute einsetzt. Neos Mission ist natürlich, Trinity zu befreien, die mittlerweile denkt, sie wäre eine brave Mutter und Ehefrau. Es braucht also etwas mehr, um sie zu überzeugen, dass sie schonmal die Wahrheit kannte. Aber mit neuen Verbündeten gelingt es schließlich und der Therapeut entpuppt sich als der neue Architekt, dessen Aufgabe es war, durch die besondere Energie von Neo und Trinity im System die Effektivität der Matrix zu steigern. Als beide entkoppelt sind, können sie scheinbar alles verändern und drohen, ein ganz neues Regiment in der Matrix aufzuziehen.
Das könnte ein Hinweis sein, dass in 2-3 Jahren weitere Sequels zu erwarten sind, auch wenn die Story an sich abgeschlossen scheint.
Ästhetisch schließt die Matrix an aktuelle Sehgewohnheiten mit deutlicher Comicästhetik an und blendet oft Szenen aus der ersten Trilogie ein, die hier als neue Realität gebrochen eingebunden sind. Als neues Element lernen wir die Simulation in der Simulation kennen, aus der ein Programm (Morpheus mit Smithanteilen) sich befreit, um später Neo als dessen Schöpfer zu befreien und ihm als elektromagnetisches Kugelgebilde hilfreich zur Seite zu stehen. Außerdem die Frage, wie wir in unserem Kopf reale Erinnerungen zu Fiktion und Fiktion zu scheinbarer Realität verarbeiten können. Ein spannender Seitenhieb auf aktuelle Verschwörungsmythen, den man freilich in beide Richtungen deuten kann. Wenn nichts mehr sicher ist, kann jede Vorstellung Fake sein.
Soweit ein erster Eindruck, für eine tiefere Analyse treffen wir uns besser mal auf ein Bier…

Der Welt den schwarzen Spiegel vorhalten…

Heute stelle ich euch eine Methode zur spirituellen Medienrezeption als Kleingruppe vor.
Seit einigen Wochen treffen wir uns mit ein paar Freunden zu einem regelmäßigen Filmabend. Alle 14 Tage schauen wir eine Folge der Netflix-Serie „Black Mirror“ in einem christlichen Kontext. Das heißt, wir sehen die Episode, reden über unsere Gedanken dazu und fragen Gott nach seinen Ideen. Die Mischung aus medienwissenschaftlichem und geistlichem Zugang macht die tiefen Einzel-Episoden besonders spannend. Konkret schaut das folgendermaßen aus:

  1. Einstiegsfrage
    Thema persönlich anreißen
  2. Folge sehen
    Ohne viele Kommentare
  3. Offener Austausch:
    Was hast du gesehen?
    Wie geht es dir damit?
    Wo hast du ähnliches schon mal erlebt?
  4. Gebetsgemeinschaft
    Sag Gott, was dich bewegt und lass dich von ihm bewegen!

So ein Abend dauert etwa 3h, die kurzweilig vergehen und hinterlässt mich meist mit spannenden Gedanken, die mich durch die Woche begleiten. Die persönliche Einstiegsfrage gibt allen die Möglichkeit, sich persönlich auf das Thema einzustellen und etwas aus dem eigenen Leben zu teilen. Der offene Austausch fängt ganz trivial mit einer inhaltlichen Nacherzählung der Folge an, führt dann meist in diverse Exkurse und tiefe theologisch-philosophische Fragen. Die Gebetszeit beginnt mit eigenen freien Worten, umfasst eine längere Zeit, in der wir still sind und auf Gott hören (und ggf Eindrücke teilen) und endet mit einem Vater Unser. Nach diesem dichten Abend, finde die die alten Worte Jesu besonders tiefgründig, weil sie oft auf die Thematik des Abends gedeutet eine ganz individuelle Aussage bekommen.

Geplant ist es, bis nächsten Sommer alle 22 Folgen der Serie durchzusehen und hier jeweils einen kurzen Absatz über unsere geistlichen Wahrnehmungen zu schreiben. Die Inhaltsangaben finden sich auf Wikipedia und anderen Portalen, daher soll hier ein Link reichen. Wer das Konzept kopieren möchte, kann natürlich auch andere Serien (Star Trek Discovery, Rick & Morty, Westworld, Wasauchimmereuchgefällt) nutzen, um miteinander den Inhalt tiefer zu erleben. Ich glaube allerdings, dass Black Mirror durch die vielseitigen gesellschaftlichen Themen und die in sich geschlossenen Folgen gut geeignet ist.

Ich fiolge der kontinuierlichen Zählung von Wikipedia:

Folge 1: Der Wille des Volkes
Wie stark beeinflussen soziale Medien deine Entscheidungen?

  • Wir sind uns bewusst, dass Medien manipulative Macht haben, aber oft nicht, wie stark sie ist. Das wird mit der Zeit eher noch stärker.
  • Impuls: Was verborgen ist, soll ans Licht kommen. Vor Menschen ist das nicht einfach, wenn Gott gut ist, muss das keine Angst machen.
  • Wir brauchen Prinzipien, um in herausfordernden Situationen weise entscheiden zu können statt nach öffentlicher Akzeptanz zu gieren.
  • Zusage: Du bist ein geliebtes Kind Gottes, ganz egal, was du tust. Dieses Bewusstsein kann helfen, auch gegen Widerstände zur eigenen Einstellung zu stehen und mit Rückgrat durchs Leben zu gehen.

Folge 2: Das Leben als Spiel
Was hast du schon in Onlinespiele investiert?

  • Es ist gut, sich für andere aufzuopfern, solange man weiß, wofür man sich einsetzt. Manchem Kaufanreiz sollte man besser widerstehen!
  • Womit ich mich berieseln lasse, das prägt meine GEdanken und Handlungen. Gut, wenn wir das eigenständig entscheiden können!
  • Gott ist wie ein Versandhandel mit unendlich großer Auswahl. Du musst nur das richtige bestellen. Der Heilige Geist ist in dem Bild eine Kaufberatung, was für unsere Situation hilfreich sein kann.
  • selbstkritische Frage: Was ist meine Show? Wo wollte ich die Welt verändern und bin ein Teil des Systems ohne eigenes Feuer geworden?

Folge 3: Das transparente Ich
Erinnere dich an eine besondere Situation der letzten Jahre. Was ist dir ganz klar vor Augen? Was nur noch schemenhaft? Wo bist du froh, dich nicht mehr (genau) zu erinnern?

  • Bei einigen Kindheitstraumata ist es gut, dass man keine Details mehr kennt oder sogar ganz vergessen kann. Nicht immer bringt eine Aufarbeitung wirklich mehr Frieden.
  • Es ist erschreckend, welches Missbrauchspotential besteht, wenn alle Privatgespräche und jeder Blick getrackt werden. Was darf der Chef, die Polizei, ein Sicherheitssystem kennen und nutzen? Was teilt man mit Freunden oder dem/der Partner:in? Führt das zu mehr Ehrlichkeit oder zu unauthentischem Leben?
  • Gott sieht alles, was wir tun und denken (Psalm 139), aber dieses Privileg sollte kein Mensch haben.
  • Bei allen technischen Möglichkeiten, etwas zu wissen, darf das gegenseitige Vertrauen nicht verloren gehen.

Folge 4: Wiedergänger
Hast du schonmal einen wichtigen Menschen verloren? Wie erinnerst du dich bzw was würdest du tun, um die Erinnerung wachzuhalten?

  • Gemeinsame Unternehmungen, Erlebnisse nacherleben & alte Fotos/Filme betrachten, hält jemanden „am Leben“
  • Es ist auch wichtig, jemanden loszulassen, der nicht mehr da ist. Wer klammert, bleibt selber stehen. Wer loslässt, kann weiterkommen.
  • Ist nicht Jesus auch gestorben und wieder lebendig aufgetreten? Er hat seinen Freunden die Möglichkeit gegeben, die neue Situation zu verstehen und sich einzulassen, war dann aber wirklich weg.
  • Wenn wir beten, dann „reden“ wir mit Gott, bekommen ggf sogar Antwort, das ist nicht weit weg von dem Algorithmus im Film.
  • Gott ist unser Schöpfer, wir sind Schöpfer von KI/Maschinen/Systemen. Welche Rechte haben wir dann? Wie werden sie uns erleben? Als allmächtigen udn liebevollen Schöpfer oder als kriegerischen Rachegott, der gerade alles zerstört?
  • Was ist Leben? Was ist Tod? Kann ein Roboter eine Seele/ein Ego haben? Kann er sich eigenständig weiterentwickeln und wie viel Freiheit geben wir einer Kopie eines realen Menschen?
  • Wem gehören solche Daten? Wer darf entscheiden, dass/ob ein digitales Duplikat erstellt wird, wenn alle Daten digital verfügbar sind?
  • Impuls: Wir sollten viel Kleinteiliger ein digitales Testament verfassen und uns zu solchen Themen äußern! Was soll mit unseren digitalen Datenspuren geschehen? löschen? einfrieren? weiterspinnen?
  • „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“ (Psalm 90) bedeutet: Es ist wichtig, dass wir sterblich sind und uns dessen bewusst sind. Wie wir mit dem eigenen Ende umgehen, ist damit nicht final gesagt, aber wir können versuchen, aus Gottes Sicht darauf zu schauen, um wise zu entscheiden!

Projekte zwischen Wissenschaft, Kirche und Medienwelt