Einleitung

Ich war im Sep/Okt 2024 auf dem portugisischen Jakobsweg unterwegs. 280 Km von Porto bis Santiago. Mein fünfter Camino insgesamt und der zweite nach Santiago de Compostela. Und wieder war es ein faszinierendes Erlebnis mit tollen Begegnungen und viel Zeit zum Nachdenken und Entspannen. Körperlich sicherlich immer eine Herausforderung, aber ich weiß mittlerweile, dass ich im Flachland mit 25 Km am Tag gut klarkomme und mit gut sitzenden Socken und Schuhen keine Blasen bekomme. Den Rucksack packe ich sparsam, verteile das Gewicht zwischen Schultern, Brust- und Hüftgurt, trinke über den Tag ausreichend Wasser und versuche gesund und abwechsungreich zu essen. Abends gönne ich mir Wein oder Bier, dann schläft es sich auch im Schlafsaal ganz gut und im Zweifel nutze ich eine Privatpension, um mal richtig auszuruhen.

Diesmal htte ich echt Pech mit dem Wetter und von 11 Tagen hatte ich einmal Nieselregen, 3x eher Sonnenschein und 7x Starkregen. Also so, dass man nach 1h Weg von Kopf bis Fuß klatschnass ist und trotzdem noch 5h weiter laufen muss. Immerhin war es warmer Regen und einige Male konnte ich durch passende Kaffeepausen die ersten Schauer aussitzen. Aber insgesamt war es ein gefühlter „Underwater-Camino“, bei dem ich leider auch das Meer und die wundervolle Umgebung nur so halb genießen konnte. Aber auch das gehört zum Camino, dass ich eben nicht alles im Griff habe, sondern den Weg nehmen muss, wie er kommt. Also auch den Regen. Und schließlich sind wir ja nicht aus Zucker… Nur meine Wanderschuhe musste ich nach 5x im Trockner leider entsorgen, weil das Material zu sehr gelitten hat. Aber sie haben mich auch schon knapp 1000 Km getragen, da war das in Ordnung…
Routenplan und Herbergen
Mein Ziel war es, möglichst lange am Meer zu laufen und ca. 25 Km am Tag zu gehen. In Galicien habe ich primär günstige Herbergen der Xunta Galicia angesteuert, die man nicht reservieren kann, aber wo ich immer ein freies Bett gefunden habe. An der portugiesischen Küste musste ich oft Privatherbergen nutzen, was auch gut funktioniert hat.
Ich bin durchaus zufrieden mit der Etappenplanung mit der App „Buen Camino“. Im Nachhinein hätte ich mir gerne mehr Zeit genommen, um Spontaneität zulassen zu können, aber durch den Regen ist viel Offenheit einem „Hauptsache ankommen!“ gewichen.

- 26.9. direkt vom Flughafen Porto (wer sagt, dass man in der Stadt starten muss?) 8 Km nach Labruge (ÜN: Pilgerherberge S. Tiago für 15 EUR, guter Standard)
- 27.9. 28 Km nach Apúlia (ÜN: im privaten Einzelzimmer für 20 EUR)
- 28.9. 27 Km nach Villa Nova de Anha (ÜN: Casa da Carolina für 20 EUR, sehr schöner Garten, gute Gemeinschaft bei Suppe und Frühstück!)
- 29.9. 24 Km nach Vila Praia de Ancora (ÜN: Quinta da Quinhas für 25 EUR, modern, sauber, mit Pool im Garten und Frühstück)
- 30.9. 26 Km nach Oia (ÜN: La Cala für 25 EUR, 3er-Zimmer mit Küche und Terrasse mit Begrüßungsdrink und Frühstück)
- 1.10. 24 Km nach A Ramallosa (ÜN Pazo Pias im EZ für 18 EUR, klosterartige Anlage, Einzelkammer mit Dusche am Gang)
- 2.10. 22Km nach Vigo (Xunta Galicia Pilgerherberge für 10 EUR, groß, modern, guter Standard)
- 3.10. 24 Km nach Arcade (O Lar de Pepa im DZ für 12 EUR, kleines Privathaus mit Küche, günstige Getränke)
- 4.10. 30 Km nach Briallos (Xunta Galicia Pilgerherberge für 10 EUR, Urlaubsfeeling mit Wiese und Terasse im Weingebiet, inkl nutzbarer Küche und Bistro)
- 5.10. 24km nach Padron (Xunta Galicia Pilgerherberge für 10 EUR, stilvolles Steinhaus mit großer Küche und großem Schlafsaal, kein Trockner im Haus!)
- 6.10 25km nach Santiago (Sixtud no Caminho für 25 EUR, modern, funktional, gute Innenstadtlage)
- 7./8.10. ÜN in Porto (The Central House für 24 EUR, tolle Lage, guter Service, leider unschönes Erlebnis durch verpeiltes Personal)

Thema Bindung
Wenn ich pilgern gehe, plane ich gerne allein. Ich laufe mein Tempo, gehe meinen Weg, bin aber offen für spontane Begegnungen. So hatte ich wieder jeden Tag gute Gespräche auf dem Weg oder abends in der Herberge. Teils mit einzelnen Personen, Paaren oder Pilgergruppen. Ich mag den Austausch und die Unverbindlichkeit. Und gleichzeitig merke ich, dass das meine aktuelle Lebensfrage ist: Wie viel Individualität bin ich bereit aufzugeben, um mich an jemand anderen zu binden? Das war auf diesem Camino eine wichtige Erkenntnis: Ich mus mich entscheiden, was mir wichtig ist. Alles geht nicht…

Thema Vertrauen
Manche Pilger buchen alles vor und fragen hektisch nach, wenn mal irgendwo kein Pfeil zu sehen ist oder etwas nicht 100% geregelt scheint. Ich bin da mittlerweile tiefenentspannt, vertraue, dass ich einen Weg und ein Bett finden werde und lasse mich auf Abenteuer ein. Sicherlich habe ich nicht immer die perfekt ausgewählte Unterkunft gehabt und vielleicht auch ein paar Sightseeing-Highlights verpasst, dafür hab ich mich nicht verrückt gemacht, sondern war ganz viel im Moment. Der Regen hat zwar die Genussmomente etwas kaputt gemacht, aber das stoische Weiterlaufen, um schnell anzukommen, hat auch was. Das wurde mir mal als „German Spirit“ ausgelegt. Zumindest für mein Leben scheint eine gewisse entspannte Zielstrebigkeit und Durchhaltevermögen zuzutreffen.

Thema Loslassen
Ebenso musste ich lernen loszulassen. Dinge, Ideen, Menschen. Vor allem meine Wanderschuhe und den Windbreaker werde ich vermissen. Treue und Loyalität sind prinzipiell gute Werte, aber wenn ich ständig neue Projekte starte, muss ich Altes sein lassen, um nicht unterzugehen. Auch hier durfte ich am Weg ganz praktisch lernen, wie ich mich von Altem trennen kann und Neues in mein Leben kommt. Nicht immer freiwillig aber deutlich spürbar.

Roman: Das Lächeln am Ende der Welt
Nach der Rückkehr bin ich erst dazu gekommen, das vorher schon gekaufte Hörbuch „Das Lächeln am Ende der Welt“ (Knud Hammerschmidt 2020) zu hören. Und das war genau der richtige Zeitpunkt. Noch im Pilgermodus, noch gedanklich auf dem Weg, aber schon hinter dem Ziel und zurück in Erfurt. So konnte ich meinen eigenen Weg anhand der Figuren reflektieren, die (in etwa) den gleichen Weg pilgern, ähnliche spirituelle, beziehungstechnische und allgemeine Lebensfragen wälzen, sich begegnen, genießen und am Ende ihren persönlichen Camino erleben. Ganz so viel getrunken und so luxoriös gegessen wie die Protagonisten habe ich nicht. Ich habe auch weder meinen Glauben verloren noch meine Traumfrau getroffen. Aber dem Grundtenor kann ich mich anschließen und das Buch allen empfehlen, die einen Camino gegangen sind und hinterher nochmal eine schöne Geschichte über ganz unterschiedliche Figuren auf dem Weg lesen wollen. Dein Weg endet nicht in Santiago, sondern da, wo du mit deinem Thema ankommst.
Mehr auf Instagram/Facebook: Fotos Camino | Fotos Porto | Video 1: Portugal | Video 2: Regen | Video 3: Loslassen | Video 4: Ausklang
Wer immer noch nicht genug gelesen hat, dem empfehle ich meinen Pilgerbericht von letztem Jahr! (spanischer Küstencamino/ Camino del Norte)