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Bin ich Handysüchtig?

Ich bin seit 24 Jahren mit einem Mobiltelefon aufgewachsen. Das merke ich , weil mein Handy letzte Woche kaputt gegangen ist. Erst ging es nicht richtig, dann quasi gar nicht mehr und vor Weihnachten ist keine Reaparatur mehr zu machen. Ich musste mich also damit auseinandersetzen, ca. 2 Wochen lang auf die gewohnten Apps und Featues verzichten zu müssen. Noch vor 2 Jahren hätte ich das vermutlich als sportlichen Anreiz zum digital detox genommen. Doch mitlerweile merke ich, dass ich das nicht mehr will. Ich will, ein funktionierendes Device haben. Es ist ein Teil von mir geworden.

Daraus könnte man schließen, dass ich Handysüchtig bin und dringend eine Entziehungskur brauche. Aber ich glaube, es ist etwas anderes. Ich bin nicht süchtig, ich bin abhängig! Das klingt zwar ähnlich ist aber etwas ganz anderes!
Eine Sucht zieht mich in ihren Bann, bringt mich dazu, Dinge zu tun, die ich eigentlich nicht tun möchte. Wenn ich CandyCrush spiele und nicht wie geplant nach einem Level afhöre, sondern erst nach 2h und auch nur, weil der Akkus leer ist, dann ist das eine Form der Sucht. Wenn ich mich durch InApp-Käufe verschulde, wenn ich ständig prüfe, ob ich neue Likes in SocialMedia habe oder ob jemand meinen Artikel kommentiert hat, und daran mein Leben ausrichte, dann kann man von Sucht reden. Aber bei meiner Handynutzung sehe ich es (zumindest das Grundproblem) anders.

Ich bin abhängig von dem Gerät auf dem ich ca. 50 nützliche Tools installiert habe, dir mir helfen, den Alltag zu strukturieren! Und damit meine ich nicht die von Haus aus vorhandene Taschenlampe, Wecker und Fotofunktion.
Ich nutze Bürosoftware (Word, Excel, PDF, Mail, Browser, etc.) und offline Bibelsoftware, Meditationshilfen und Banking-Apps, Fitness-Tracker und Offline-Navigation. Ich buche Bahntickets, Mietauto und Mietfahrrad über das Gerät produziere mit Canva bzw. InShow Medien und benutze zahlreiche SocialMedia-Kommunikations-Apps. Ach und Telefonieren tue ich auch noch mit 2 Sim-Karten.
Und all das fehlt auf einmal, wenn das Smartphone ausfällt.

Marshall McLuhan hat in den 60ern mi Blick auf die elektronischen Medien seiner Zeit gesagt, dass sie Erweiterungen unseres Körpers sind. Das Fernsehen erweitert unser Blickfeld, das Telefon lässt uns entferntes hören. Durch Telegrafen können wir uns global mitteilen. Wir nuzen diese Werkzeuge, um mehr wahrzunehmen und effektiver zu produzieren. Dabei gibt es natürlich auch Schattenseiten und Gefahren wie Aufmerksamkeitsökonomie oder Selbstwertverlust durch falsche Vergleiche, Aber erstmal erweitern wir unsere Möglichkeiten. Und das sehe ich auch heute noch: Ich erweitere wie ein Cyborg oder ein Exoskelett meine Körperfunktionen enorm und steigere meine Produktivität indem ich quasi ein ganzes Büro und eine Bibliothek in der Hosentasche trage. Das hat mich unglaublich viel Aufwand in der Einrichtung gekostet und wenn ich jetzt 2 Wochen mit einem „Ersatzgerät“ unterwegs bin, fühltes sich an, als hätte ich mir Körperteile abgeschnitten. Ich bin nicht voll leistungsfähig.

Zum Beispiel habe ich einmal verschlafen, weil mein Ersatz-Wecker mich nicht wie geplant geweckt hat, konnte Termine nicht mit Blick auf das ganze nächste Jahr machen und eingehede Mails nicht direkt bearbeiten, weil die Dienstproramme fehlten. Ich musste meine Bahntickets ausdrucken, hatte in der Innenstadt echte Schwirigkeiten, eine Adresse nur aufgrund von Karte und Straßennamen zu finden und konnte nicht in einem Meeting aktuelle Themen live recherchieren. Entspannung und Information durch Musik und Medien fehlten mir. Menschen konnten mich nicht verlässlich erreichen und ich bestimmte Infomationen nicht passend teilen.
Natürlich habe ich auch gemerkt, dass ich garnciht der Nabel der Welt bin, ich nicht immer erreichbar sein muss und mich auch durchaus im „Hier und Jetzt“ verwirklichen kann statt mit der ganzen Welt verbunden zu sein.

Für den Fall eines Komplettausfalls von Strom/Internet/Mobilfunk möchte ich gerne immer mal testen, was ich ohne XY tun würde. Wie weit geht meine Abhängigkeit und wo kann ich autark weiter handen/arbeiten/überleben. Einige Menschen bauen sich ja gerade mit Balkonkraftwerken und lokalen Stromspeichern kleine Insellösungen, um im Notfall zumindest den nötigsten Strom für Kühlschrank, Handy und Wasserkocher zu haben. Andere investieren in Peer2Peer-Kommunikations-Netze, um auch ohne zentrale Serverinfrastruktur kommunizieren zu können. Und wieder andere legen sich gedruckte Listen an, um wichtige Daten auch anaog vorzuhalten.

Ich finde es bis zu einem gewissen Grad aber OK, von digitalen Medien abhängig zu sein. So wie ein Berufspendler abhängig von seinem Auto als Transportmittel ist und ein Häusebauer abhängig von der Bankfinanzierung bin ich abhängig von den digitalen Tools, die mir hefen, im Alltag zu funktionieren. Ich bin auch ohne lebensfähig, aber wenn sie ausfallen, setze ich zuerst alles dran, meine fehlenden Gliedmaßen wieder herzustellen, bevor ich den Schritt gehe, mit dem, was gerade geht, weiterzuarbeiten. Also nicht nur zu weinen, was ich gerade nicht habe, sondern vor Ort zu tanzen, zu tippen, zu lesen Menschen zu treffen. In sofern erhalte ich mir eine eigenständige Kreativität auch mit einfachsten Mitteln, bis das große digitale Besteck wieder einsatzfähig ist.

Kirchliche Medienkompetenz

Neulich wurde ich gefragt: „Was sollte sich in Sachen kirchliche Medienkompetenz in den nächsten fünf Jahren entwickeln?“ Daraufhin habe ich folgendes geantwortet:

Wir erleben, dass digitale Kommunikation in der Gesellschaft fest verankert ist. Menschen treffen sich weiterhin Face-to-Face, aber zwischen den Treffen bleiben sie medial in Kontakt. Und der virtuelle Austausch nimmt immer mehr Lebenszeit ein und prägt dadurch sehr stark, was Menschen denken, glauben und tun. Auf diese Form von Sozialleben sind wir als Kirche weitestgehend nicht gut vorbereitet.
Es wäre wichtig, dass wir schon in der Ausbildung von Pfarrerinnen und Diakonen, Gemeindepädagogen und Jugendreferentinnen wert darauf legen, sie ganzheitlich – also auch digital – zu bilden. Das bedeutet einmal, dass sie praktisch mit aktuellen Tools umgehen können, sie ethisch bewerten und einordnen, welche Folgen ein Einsatz sowohl positiv als auch negativ hat, aber auch, dass sie die Kompetenz entwickeln, sich selber in neue Szenarien einzuarbeiten und für bestehende Problemfelder digitale Lösungen mitzudenken. Denn der Medienkanon wird sich alle paar Jahre verändern und nur die bisherigen und die aktuellen Medien zu kennen wird auf Dauer im Job nicht kompetent machen.
Aber nur Menschen, die mit einem weisen Überblick digitale Möglichkeiten für den Gemeindealltag nutzbar machen, können Gemeindemitglieder wirklich kompetent begleiten. Wie gehe ich mit Seelsorgeanfragen auf WhatsApp um? Welche Fotos kann ich bei Instagram ohne Genehmigung einstellen und welche Folgen hat es, wenn ich Jugendliche ermutige, ihre Künste über TikTok zu teilen. Chancen und Risiken kennen, abwägen und Menschen beraten kann nur, wer selbst souverän mit Medien umgeht. Weil nicht jeder Hauptamtliche alles wissen kann, braucht es Experten in Kirchenämtern, die schulen, beraten und in konkreten Fällen ansprechbar sind. Aber eine digitale Basisausbildung wird in Zukunft ähnlich wichtig sein, wie eine saubere Handschrift in den letzten 100 Jahren war.
Und das betrifft letztlich nicht nur Hauptamtliche, sondern auch Ehrenamtliche und Laien, weil mittlerweile jeder mit Medien umgeht und Medien produziert. Wer Kinderfotos veröffentlicht, sollte vorher über Bildrechte Minderjähriger nachdenken (wobei die Antwort durchaus unterschiedlich ausfallen darf!) und wer den eigenen (oder Fremden) Nachwuchs vor YouTube abstellt, um Zeit für andere Dinge zu haben, sollte zumindest im Blick haben, dass weniger kindgerechte Inhalte nur 2 Klicks entfernt warten. Medien sind keine Babysitter, sondern Tools, die man in der Erziehung von Kindern durchaus nutzen darf, ohne dadurch die Beziehungszeit zu kürzen.
Wenn also digitale Medien sowohl privat, als auch im Gemeindealltag, in der wissenschaftlichen, organisatorischen und öffentlichen Kommunikation unser Leben zu großen Teilen prägen, sollten wir sie auch in der Aus- und Weiterbildung entsprechend stark berücksichtigen. Es ist gut, wenn Pfarrpersonen theologisch immer wieder auf dem aktuellen Stand bleiben, sich methodisch weiterentwickeln und philosophisch immer tiefere Erkenntnisse gewinnen. Gleichzeitig brauchen sie ein Wissen über zeitgemäße mediale Formen, um diese Kompetenzen für sich und ihre Aufgaben anzuwenden. Das wird am Ende auch die Form und Qualität der Gottesdienste, der Konfirmandenarbeit und der Selbstorganisation beeinflussen und vielleicht sogar helfen, die steigende Burnoutgefahr zu mindern, weil ein weiser Umgang mit neuen Medien auch die Kompetenz umfasst, sich Ruhepausen und Rückzugsorte zu schaffen und eben nicht pausenlos erreichbar zu sein.

Gerade bin ich dabei, ein Modul zu gestalten, mit dem wir Studierende an der Ev. Hochschule Tabor an „Kunst, Kultur und Medien“ heranführen. In fünf Blöcken werden wir ein Semester lang darüber nachdenken, wie diese drei die Gemeindearbeit bereichern können.  Ich bin gespannt, ob es in den nächsten Jahren ähnliche Formate auch an anderen Ausbildungsstätten geben wird!