Awareness – Was denkst du, ist real?

Heute möchte ich über den Film Awareness – Die Realität ist eine Illusion sprechen. Seit Oktober 2023 auf Amazon Prime als Stream verfügbar wurde er mir öfters angeboten, aber ich habe ihn mehrfach weggeklickt. Noch so ein Superpower-Fantasy-SciFi-Thriller mit Effekthascherei dachte ich. Als ich den Film dann doch mal gesehen habe, war ich sehr positiv überrascht und möchte deshalb über die Frage nachdenken, wie wir die Weltwahrnehmung anderer Menschen beeinflussen können.

Worum gehts?

Kurz zum Plot (den ich übrigens immer noch nur mäßig spannend und recht vorhersehbar finde): Ein Junger Mann hat die Fähigkeit, Menschen in seinem Sichtfeld telepatisch Visionen zu initiieren, sodass diese denken, etwas würde passieren, das eigentlich gar nicht passiert. So kann man sich vorstellen, alles sei in Ordnung, während man ausgeraubt wird oder es bräche ein Gewitter los, während eigentlich die Sonne scheint. Man sieht sich selbst am Strand oder nimmt eine nervige Fliege wahr, die gar nicht existiert. In der Filmwelt gibt es bestimmte Menschen, die diese Fähigkeit besitzen. Dann gibt es natürlich eine nicht näher definierte Agentur mit einem anonymen Auftraggeber, die rausfinden will, wie man solche Superkräfte gezielt produzieren und für eigene Zwecke einsetzen kann und eine Freiheitsbewegung, die gegen die Agentur arbeitet. Und der Junge gerät zwischen diese beiden Seiten, ohne zu wissen, wer es gut mit ihm meint und wer ihn nur ausbeuten will. Dabei steht er zwischen seinem Vater, einer jungen Frau, einer unnahbaren Wissenschaftlerin und einem exzentrischen Gleichgesinnten („Perceptor“). Wem kann er vertrauen? So weit, so trivial.

Und in echt?

Aber wie ist das eigentlich in unserer Realität? Auch wir können ja beeinflussen, was Menschen wahrnehmen. Über die Auswahl von Nachrichten, die wir online multiplizieren zum Beispiel schaffen wir Realitäten, in denen bestimmte Themen vorkommen oder nicht. Wenn wir aktiv über den Klimawandel und Lösungsansätze reden, ist er uns bewusst und wir sind eher geneigt, selber etwas zu tun. Wenn wir über vegetarische Gerichte, homosexuelle Lebensformen oder übernatürliche Glaubenserfahrungen sprechen, stellen wir diese als Realität mit einer bestimmten Wertung dar und Menschen speichern bewusst oder unbewusst ab, dass – zumindest für uns – diese Dinge real erfahrbar sind. Und wenn genügend Menschen in meinem Umfeld mit Hafermilch gut leben können, wird es für mich eine reale Option, selbst wenn ich für mich alleine nicht auf die Idee kommen würde, meinen Milchkonsum umzustellen. So prägen uns Menschen und wir ebenso andere Menschen. Im optimalen Fall tun wir das transparent, sprechen also auch auf der Metaebene darüber oder versuchen zumindest nicht, unser Gegenüber zu deren Schaden zu manipulieren. Bei politischer Kommunikation, Propaganda und Werbung müssen wir aber davon ausgehen, dass wir bewusst einseitig beeinflusst werden sollen. Und kritische Stimmen sagen, schon jede pädagogische Aktion sei eine übergriffige Manipulation. Noch mehr natürlich jegliche Form der Mission oder Gewinnung für konkrete Interessen. Spannend, dass Amazon einen Film zu diesem Thema finanziert, was ja ein zentrales Merkmal der Konzernkommunikation ist!

Was ist real?

Wenn ich durch die Film- oder Musikdatenbank oder den Webshop scrolle, sagt der Algorithmus mir, was existiert. Ähnlich wie bei Instagram oder TikTok auch. Will ich es überpfüfen, dann google ich ein Stichwort und glaube der Suchmaschine (oder Wikipedia, oder ChatGPT oder einer beliebigen anderen Gatekeeper-Instanz), dass sie mir die Wahrheit verkündet. Was nicht im Netz auffindbar ist, existiert also nicht? So scheint es für Digital Natives oft. Für analog beheimate Menschen gilt umgekehrt, dass man grundsätzlich skeptisch gegenüber Onlinemedien ist und nur, was man anfassen kann, wirklich „real“ ist. Das ist freilich genauso ein Trugschluss, weil ja ganz viele Konzepte wie Liebe, Vertrauen, Musik und ein Großteil unseres Wissens lediglich als virtuelles Konstrukt existiert. Aber digitale Aufmerksamkeit, virtuelle Zuneigung oder die Trennung einer intensiven rein online geführten Freundschaft haben ähnlich reale Auswirkungen wie der Wegfall eines Gegenstandes, der mir lieb war und nun nicht mehr da ist. Natürlich leben wir Menschen als kohlenstoffliche Wesen und ganzheitliche Beziehungen bestehen immer aus virtuellen und körperlichen Komponenten. Daher missfällt es mir auch, beide Seiten gegeneinander auszuspielen, sondern beide Ebenen müssen im Einklang stehen, um wirklich gesund zu leben.

Die berühmte „Motion Sickness“ bei VR-Spielen entsteht zum Beispiel dadurch, dass das Gerät unserem Gehirn vorgaukelt, wir würden uns bewegen, der Körper aber physisch auf der Stelle bleibt. Ähnlich, wie manchen Menschen im Flugzeug schlecht wird, wenn der Körper unnatürlich schnelle physische Bewegungen erfährt, während man mental in einem geschlossenen Raum sitzt. Und hier setzt der Clue des Filmes an:

***ACHTUNG Spoiler: Ab hier bitte erst weiterlesen, wenn du den Film bis zum Ende gesehen hast oder das Ende vorweg nehmen willst***

Der Plottwist

Im Laufe des Filmes wird deutlich, dass die Wissenschaftlerin nur an der Formel für die Superkräfte interessiert ist, die sie ihrem Auftraggeber organisieren soll. Doch auch der „Vater“ scheint den Protagonisten ein Leben lang getäuscht zu haben und seine Motive bleiben im Dunkeln. Der angeblich böse Perceptor rettet ihm dagegen mehrfach das Leben, wird ihm zum Mentor, bleibt aber gleichzeitig mächtiger und skrupelloser Gegenspieler. Im Endkampf nimmt er schließlich seine Freundin, die ihm fast den ganzen Film unterstützend zur Seite stand, als Geisel und droht, sie zu töten. So schafft er es, den Jungen daran zu hindern, ihn auszuschalten. Bis jemand unbeteiligtes offenbart, dass niemand außer dem Jungen das Mädchen sehen kann. Offensichtlich wurde ihm eine virtuelle Fliege implantiert – eine Figur, die ihn schon wochenlang begleitet, für ihn real war, ihn aufgebaut, motiviert und geleitet hat, aber körperlich nie existiert hat. Der Protagonist hat sich komplett täuschen lassen. Während er dachte, er hätte den Durchblick wurde er getäuscht. In FightClub Manier sieht nun auch der Zuschauer durch einen Flashback, dass in allen Szenen, in denen das Mädchen ihm geholfen hat, zu kämpfen, etwas mutiges zu tun oder zu entschlüsseln, er alleine gehandelt hat. In dem Bewusstsein, es für sie oder mit ihr zu tun. Der Perceptor hat sie ihm bei der allerersten Begegnung in den Kopf eingefügt und damit auch uns Zuschauer in die Irre geführt. Nur die Wissenschaftlerin mit ihrer klaren Logik kann ihm so helfen, im Endkampf die Täuschung zu erkennen und den Gegenspieler zu eliminieren. Sie war also letztlich doch die einzige, die sich der wirklichen Wirklichkeit bewusst war – denkt man. Bis in der allerletzten Szene ihr Auftraggeber ebenfalls als fiktive Figur in ihrem Kopf aufgedeckt wird. Der Film endet also mit der Erkenntnis, dass gerade die, die denken, andere belehren zu können und den wirklichen Durchblick zu haben, oft an der eigenen Schlagseite scheitern.

Ich weiß, dass ich nichts weiß

Letztlich ist der Film also eine Diskussion zwischen Existentialismus und Konstruktivismus und proklamiert, dass es die letzte Wahrheit nicht gibt oder zumindest niemand mit Sicherheit behaupten kann, diese zu erkennen. Die Matrix meldet sich in der Erinnerung: Woher weißt du, was real ist? Mit der Trueman-Show frage ich, welche Intention der Regisseur meines Lebens hat und wo er eingreift? Schon Stanislaw Lem hat postuliert, dass wer täuschend echte Virtuelle Welten schaffen kann, selbst nie mehr sicher sein könne, nicht selbst auch in einer zu leben.
Jede menschliche Erkenntnis ist Stückwerk (übrigens eine biblische Erkenntnis aus 1. Kor 13) und egal ob wir über Glaubenserfahrungen, Musikgeschmack, Rezepte oder Lebensweisen sprechen, sollten wir das in einer Offenheit tun, dass wir geprägte Menschen sind und mit anderen geprägten Menschen im Austausch stehen. Wir bieten ein Narrativ an und lassen uns auf ein anderes ein. So finden wir am Ende hoffentlich heraus, was die grundlegende Geschichte hinter allem ist und wem wir vertrauen können.

Mich hat also nicht der Film an sich überzeugt, sondern das Thema, das er in mir angestoßen hat, das jetzt wie eine Fliege durch meinen Kopf schwirrt. Der Film ist mir zum Perceptor geworden! Aber woher kommt der Gedanke, das zu hinterfragen, wer hat mich dazu gebracht und auf welcher Ebene der Realität findet das statt? Erstmal bin ich froh, dass die virtuellen Welten unseres Metaversums noch weit weg von perfekter Simulation sind und ich mir meiner körperlichen Existenz relativ sicher sein kann…


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