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„Rumo und die Wunder im Dunkeln“ als Passionsweg

Kurz vorneweg: Ich bin kein Literaturwissenschaftler und habe Walter Moers nicht in aller Tiefe studiert. Aber ich bin tief bewegt von den (Hör)Büchern, die ich von ihm gelesen habe. Darüber möchte ich medientheologisch nachdenken und freu mich über weiterführenden Austausch dazu!

Rumo ist nach „Käpt`n Blaubär“ und der „Stadt der träumenden Bücher“ der dritte Zamonienroman, den ich als Hörbuch genossen habe (die anderen werden folgen). Was der Autor sich dabei gedacht hat, weiß ich nicht, aber ich möchte (allen, die sich darauf einlassen können) eine Deutung von Rumo als (christliche) Passionsgeschichte anbieten. Vielleicht eignet sich dieses Buch ja als Lektüre in der vorösterlichen Zeit mit dem Finale am Osterwochenende, um die bekannten Ereignisse mal in ganz neuem Licht zu reflektieren?!


Spoiler-Alarm: Wer hier weiterliest wird Details aus Verlauf und Ende des Buches erfahren. Wer es vorher unbedarft lesen will, sollte jetzt aufhören und in 26 Stunden hier weiterlesen!


Ganz kurz zusammengefasst geht es in dem Buch um einen Wolpertinger (hundeartige Wesensform, die auf zwei Beinen geht), der als Welpe von Zyklonen entführt wird, sich nach langem Leid blutig befreien kann, umherschweift, Gleichartige findet, für die große Liebe ein Wagnis auf sich nimmt und am Ende ganz Zamonien rettet und selbst gerettet wird.
In diesem Buch geht es äußerst grausam zu. Leiden und Sterben ist an der Tagesordnung und mehrfach überkam mich Abscheu vor so einem „Splatterroman“. Dennoch hat mich der Wortwitz, die Spannung der verwobenen Geschichten und die Hoffnung auf einen guten Ausgang gefesselt. Ein ähnliches Gefühl habe ich immer bei Mel Gibsons Bibelverfilmung „Die Passion Christi“ (die ich jahrelang als Karfreitagsritual gesehen habe): Unsagbares Leid wird schonungslos offen dargestellt, schreckt ab und rührt an zugleich. Auch das Lesen der biblischen Passionstexte in der Karwoche löst bei vielen bereits dieses Gefühl aus und mir kam instinktiv die Idee, die beiden Narrative zu vergleichen.
Im folgenden parallelisiere ich die Stationen Rumos mit dem Leidensweg Jesu; wohlwissend, dass es bei ersterem um reine Fiktion (wenn auch sehr gute) und bei letzerem um (im Kern) historisch gesicherte Ereignisse handelt (tiefere historisch-kritische Auseinandersetzungen gerne an anderer Stelle). Ich tue das angelehnt an einen Passionsweg anhand verschiedener Stationen aus dem Leidensweg Rumos/Jesu:

Galiläa: Lernen und Leiderfahrung als vorbereitende Zeit

  • Rumo wird aus seiner vertrauten Heimat entführt und sein Leben bedroht
    vs. Säuglingsmord des Herodes, Flucht nach Ägypten
  • Leidenszeit auf dem Teufelsfelsen, die für den späteren Weg vorbereitet
    vs. Versuchungen durch den Teufel in der Wüste
  • Smeik wird Mentor und Wegbereiter für Rumo, Erweckung der Instinkte
    vs. Johannes der Täufer bereitet Jesus den Weg, Taufe Jesu als Beginn der Wikungszeit
  • Erkenntnis von besonderen Reflexen und Sensorik
    vs. erste Wunder (Wasser zu Wein) und Nathanaelberufung (ich wusste von dir, bevor ich dich getroffen habe)
  • Kampf gegen körperlose Schatten
    vs. Dämonen austreiben, leeres Haus nicht unbewohnt lassen

Einzug nach Jerusalem

  • Rumo scheint unbesiegbar, auf Erfolgskurs
    vs. Jesus hat große Gefolgsschar, die ihn zum König machen will
  • Ankunft in Wolperting, Erfolge & Duelle mit Rolv und Ushan
    vs. Einzug in Jerusalem, Streit mit Religiösen, Wutrede und Tempelreinigung

Getsemane

  • Rumo hat ein Schwert, in das zwei Geister eingeschmiedet sind, die ihm als innere Stimme (teils widersprüchliche) Ratschläge geben, was zu tun ist
    vs. Jesu inniges Gebet und hadern zwischen gewaltsamer Machtergreifung und demütigem Gehorsam

Verurteilung

  • während Rumo unterwegs ist, wird Wolperting überfallen und alle seine Freunde entführt. Er entscheidet sich, ihnen in die Untenwelt zu folgen, um ihren Tod zu verhindern
    vs. von außen wird Jesu Hinrichtung beschlossen, aus innerem Antrieb geht er bereitwillig den Weg, um die Menschheit vor dem ewigen Tod zu bewahren

Kreuzweg

  • schwerer Leidensweg durch die dunklen Höhlen zur Stadt „Hel“, Rumo scheitert fast, bekommt Unterstützung
    vs.
    Jesuswird gegeißelt und muss sein Kreuz durch die Stadt tragen, bricht zusammen, Simon hilft ihm tragen

Golgata

  • Protagonistenwechsel: Rala wird in der „kupfernen Jungfrau“ auf die schrecklichst mögliche Art zu Tode gefoltert und gibt nach langem Todeskampf mit einem lauten Schrei auf. Sie stirbt unter den Augen ihres Peinigers.
    vs. Jesus wird gegeißelt, ans Kreuz genagelt (leidvollste Hinrichtungsmethode der Römer), verspottet und stirbt mit einem Schrei unter den Augen seiner Peiniger.

Auferstehung

  • Rala liegt Tod in ihrem Sarg. Durch drei „unvorhandene Winzlinge“ (die niemand sehen kann, die aber sehr wohl vorhanden sind) und ihre Möglichkeiten wird die körperlich tote Rala wiederbelebt.
    vs. Jesu Tod wird attestiert. Er wird im Höhlengrab bestattet und durch Gottes Eingreifen wieder zum Leben erweckt. Keiner hat gesehen oder weiß genau wie, aber der Effekt ist sichtbar.

Weiteres

  • Der Endkampf im Theater ähnelt den epischen Schlachten der Offenbarung am Ende der Zeiten
  • Die Selbstzerstörung TikToks als letzte Aktion erinnert an das „wilde Wüten Satans“, der bereits besiegt noch viele mit in den Tod reißen will
  • Die einstürzende Höhle erinnert an das Erdbeben zur Todesstunde Jesu, was den Weg zum Allerheiligsten im Tempel (= zu Gott?) frei macht (also den Weg zur Hölle (Hel) versperrt?

Osterfreude

  • Ganz am Ende schafft es Rumo endlich, Rala seine Liebe zu gestehen und erfährt, dass sie ihn schon die ganze Zeit geliebt hat (Name eingeritzt). Seine Aktion (Schatulle & Rettung der Wolpertinger) war gar nicht nötig, um ihre Liebe zu verdienen, war aber für seinen Weg ein wichtiger Baustein
    vs. Am Ende unserer geistlichen Reise erkennen wir, dass es gar nicht auf unsere Taten ankam, sondern Gottes Liebe zu uns immer schon da war. Unsere Werke können für uns und die Welt wichtig sein, sind aber nicht Bedingung, um sich Gottes Liebe zu verdienen. Unsere Namen sind bereits im Buch des Lebens verzeichnet.


Ergänzend
In den Gesprächen über den Beitrag kamen einige spannende Aspekte auf, die beide Narrative nochmal schärfen und Teilweise die Übereinstimmungen stärken, teilweise aber auch eklatante Unterschiede deutlich machen. So hilft das Gedankenspiel, die Stoffe nochmal neu und klarer wahrzunehmen…

  • Ich gehe nicht davon aus, dass diese Übertragung bewusst inszeniert ist, wenngleich es ein durchaus übliches Stilmittel Moers ist, bekannte Narrative aufzugreifen und auch andere Literatur gerne auf die Bibel als Vorlage für Heldenreisen jeder Coleur zurückgreift.
  • Wie Wikipedia aufzeigt, kann man auch Anschlüsse an germanische und griechische Mythen in Rumo finden.
  • Zentrales Motiv vom Tod Jesu ist, dass er sich selbst aus freien Stücken für die Menschen opfert. Der Tod Ralas wird ihr von außen aufgezwungen. Sie wehrt sich nach Kräften, weil ihr Opfer keine Erlösung verspricht, sondern den sarkastischen Spieltrieb einer Tötungsmaschine befriedigen soll. Das Wesen TikTaks hier soll nicht als Gottesbild gesehen werden!
  • Die Übertragung der Personen kommen bei genauerer Betrachtung schnell an Grenzen. So ist Johannes der Täufer in der Bibel ein Asket und Gerichtsprediger, Smeik aber eine genießerische Lebemade und Glücksspieler. Die Funktion des Adjutanten erfüllen sie aber beide. Interesant aber, dass Smeik in Ralas Blutbahn tatsächlich bereit ist, sein Leben für ihre Rettung zu riskieren, was man christologisch deuten könnte.
  • Rumo bleibt sympatisch gebrochener Held, weil er zwar in der Lage ist, alle möglichen Gefahren zu besiegen, aber bis zum Ende nicht über seine Gefühle reden kann. Jesus wird hingegen als suveräner Kommunikator auch in Liebesdingen dargestellt.

Miracle Workers – Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein

Ich mag ja Filme und Serien, die sich mit dem christlichen Glauben befassen. Selbst, wenn die gezeichneten Gottesbilder oft abstruse Züge annehmen und man den Zynismus der Autoren spüren kann, helfen sie, das eigene Gottessbild zu schärfen. Mit diesem Blick habe ich kürzlich „Miracle Workers“ gesehen.

Die amerikanische Klamaukserie (TNT Comedy 2019) stellt Gottes Regiment und den Vorgang geistlicher Kommunikation als globale Firma mit vielen Abteilungen im Stil der 1980er Jahre dar. Es gibt Spezialisten für Flora & Fauna, Routinen für Naturkatastrophen und Darmdurchbrüche und Methoden zur Berufung von Propheten. Im Schwerpunkt beleuchtet die Serie allerdings die Abteilung für Gebetsanliegen. Für jedes gesendete Gebet ist ein „Engel“ zuständig, nur besonders schwere Fälle werden als „unmöglich“ an Gott weitergeleitet. Dieser Gott wird allerdings als gefrusteter zynischer Bournout-Kandidat gezeichnet, der keinen Bock mehr auf das Ganze hat, die Erde sprengen und ein Restaurant eröffnen möchte. Soweit eine interessante Grundannahme, die die Frage ernst nimmt, warum es so viel Leid und Chaos in der Welt gibt. Die traditionell christliche Deutung des allmächtigen und liebenden Vaters im Himmel wird gebrochen und menschliches Leid als Folge himmlischer Inkonpetenz dargestellt.

Gleichzeitig werden typische Arbeitsweltphänomene auf eine himmlische Organisation gespiegelt, die ja für so viel Arbeit sicherlich auch ähnliche Strukturen haben müsse. Nervige Formulare, pickierte Vorzimmerdamen, Rohrpostanlagen und Strukturen, die selbst der Chef nicht mehr durchschaut. Schade finde ich, dass dabei sowohl Gott selbst als auch die meisten Mitarbeiter als ziehmlich unsensible und unfähige Trampeltiere gezeigt werden und eigentlich niemand wirklich wohlwollend mit der Erde umgeht. Stattdessen finden wir uns bereits in einer sich andeutenden Apokalypse wieder, in der Mitarbeiter sich nach neuen Jobs in anderen Sonnensystemen umsehen und mehr Energie in Abschiedsparties als die eigentliche Arbeit stecken. Nur ein Engel ist davon überzeugt, die Erde noch retten zu können und schafft es, Gott zu einer Wette zu überreden: Wenn ein „unmögliches“ Gebetsanliegen in zwei Wochen erfolgreich bearbeitet werden kann, stimmt Gott zu, die Erde zu verschohnen. Was statt der Apokalypse dann geplant ist, bleibt offen, da niemand ernsthaft damit rechnet.

Wenn man sich mit diesem düsteren Kosmologiekonzept angefreundet hat, wird im Verlauf der Serie deutlich, dass das Erfüllen eines Gebetsanliegens tatsächlich nicht so einfach ist. Unscheinbare Signale werden oft übersehen, deutlichere Hinweise rufen dafür globale Katastrophen hervor und trotz guter Planung sind Menschen permanent unzähligen Einflüssen ausgesetzt und handeln am Ende doch nach ihrem eigenen Kopf. So wird es verständlich, dass es gar nicht so einfach für Gott ist, es jedem recht zu machen. Abgesehen davon, dass Menschen oft unbedachte Wünsche äußern statt reflektiert und weitsichtig zu beten. Es wird kein Gott gezeigt, der Menschen das langfristig bessere zukommen lässt. Stattdessen erleben wir einen Gott, der aus einer ambitionierten Götterfamilie stammt und wegen seinen unkonventionellen Ideen und mangelhaften Umsetzung gemobbt wird. Die gutbürgerlichen Konventionen sehen Wesen mit freiem Willen einfach nicht vor. Eltern und Geschwister hingegen können mit ihren Welten ohne Krieg und mit florierenden Aktienkursen glänzen. Die Erde und ihre freien Menschen wären  eben doch nur ein Abbild ihres unfähigen Schöpfers. Statt um Startkapital für die neue Restaurant-Idee zu bitten motivert diese Abfuhr Gott jedoch, sich doch nochmal für sein ehemaliges Herzensprojekt einzusetzen und die Welt mit ihren komischen freien Wesen zu retten. Es scheint, wie eine Bekehrung Gottes zu seiner Schöpfung, freilich ohne einen konkreten Plan zu präsentieren, wie es weitergehen kann. Aber am Ende der ersten Staffel ist zumindest fürs Erste die Zerstörung der Erde abgewendet und das eine erfolgreich beantwortete Gebetsanliegen könnte einen Motivationsschub auslösen, um den Rest auch noch in der Griff zu bekommen.

Theologisch bleibt die Serie dabei sehr oberflächlich, zeigt keine wirklichen Lösungen für ethische Dilemmata und führt einen eher unglaubwürdigen Pantheon ein. Ein wenig erkennt man das Grundmuster von Bruce Allmächtig, in dem Gott einem Menschen offenbart, wie viel Stress ihm die täglichen Gebete machen. Vom Stil und Humor bleibt die Serie aber eher auf trivialem Standup-Niveau stehen.
Am Ende bleibt bei mir der Gedanke hängen, warum wir den transzendenten Schöpfer, über den wir streng genommen als Menschen nichts sagen können, per se als perfektes Wesen annehmen und nicht vielmehr menschlich-unperfekt. Zumindest wenn wir seine Abbilder sind…