Eine KI auf einer Leinwand leitet durch den Gottesdienst, beobachtet von Menschen, Kameras und Mikrofonen.

Kann KI Gottesdienst feiern? Gedanken zu einem Experiment beim Kirchentag 2023

Beim Kirchentag in Nürnberg wurde erstmalig ein experimenteller KI-Gottesdienst gefeiert (hier komplett nacherlebbar, hier ein kurzer Einblick in 70 Sekunden als Reel).
Nach Einführung ins Konzept und Ermutigung sich trotz aller Skepsis drauf einzulassen waren 45min Zeit für eine Liturgie, die zu 98% von der KI gestaltet war.

Der Theologe Jonas Simmerlein hat GPT3 die Aufgabe gegeben, einen Gottesdienst zum Thema des Kirchentags zu gestalten. Provokanter Titel: „Alexa, starte den Gottesdienst! – Ein KI-Gottesdienst von und aus der Maschine“ (obwohl Alexa hier gar kein Thema war).

Predigt durch einen Avatar

Die KI hat daraufhin einen Bibeltext zum Thema „Jetzt ist die Zeit“ vorgeschlagen und einen liturgischen Rahmen inklusive Gebete und Predigt ausgegeben.
Diese Texte wurden dann wiederum maschinell erstellten Avataren „in den Mund gelegt“. Die menschlich wirkenden Gesichter haben in erstaunlich realistischer Weise Lippen bewegt, die Texte akkustisch allerdings sehr monoton ohne inhaltliche Gewichtung gelesen.
Musikalisch wurden klassische Kirchenlieder durch eine dritte KI „verjazzt“, also neu und ungewohnt interpretiert, ohne dass Texte gesungen wurden oder zum Mitsingen motiviert wurde.
Die Gemeinde war beim Vater Unser und Glaubensbekenntnis aufgefordert mitzusprechen, ansonsten aber passiv beteiligt.

Reflexion nach dem Gottesdienst

Im folgenden Podium wurde das gerade erlebte von verschiedenen Medienexperten analysiert und eingeordnet. Wo stehen wir im Bereich der Robotik und an der Schwelle zum Transhumanismus? Was ist technisch mögich und was wollen wir fördern/regulieren? Wo sehen wir praktisch theologisch aktuell noch Schwächen und wie kann man bei zukünftigen Experimenten da nachbessern? Die Kommentare waren eher skeptisch bzw. kritisch gegenüber der Übergabe von personaler Kommunikation an Nicht-Personen. Schlussendlich wurde das Experimen aber mit tosendem Applaus bedacht und gewürdigt, dass wir gemeinsam Teil eines spannenden Prozesses waren, der sicherlich noch viel theologische Folgeforschung nötig hat.

Ich selber bin ja sehr offen, neue mediale Formen zu nutzen und kann mir auch gut vorstellen, sich entwickelnde Maschinen in theologische und geistliche Prozesse einzubinden. Allerdings bin ich skeptisch, wie stark wir Maschinen dabei vermenschlichen sollten. Wie in der Komödie „Superintelligenz“ (2020) kann KI sicherlich durch menschliche Erscheinung persönlicher wirken und anschlussfähiger kommunizieren, aber es scheint mir eine Anmaßung, wenn eine Maschine uns „Brüder und Schwestern“ nennt, vom gemeinsamen Glauben spricht oder einen Glauben bekennt, den sie nach konkreter Selbstaussage als „generativer vortrainierter Transformator“ (GPT) nicht haben kann. So werden die Worte zu Worthülsen, zu Lippenbekenntnissen und die Rolle als Liturgin und Prediger zur Anmaßung. Die französische Serie „Transferts“ tematisierte bereits 2017 die manipulative Kraft solch menschlich wirkender KI-Beicht-Bots. Sicherlich gibt es auch menschliche Pfarrpersonen, die auf der Kanzel einen Glauben heucheln, den sie persönlich nicht teilen, aber ein besserer Einsatz der KI wäre aus meiner Sicht eine echte Assistenzfunktion. Warum nicht klar kenntlich machen, welche Teile von KI stammen und diese ggf von Prädikannten lesen lassen (wenn man dem Pfarrpersonenmngel begegnen möche) oder eine dafür produzierte Video-Predigt an mehreren Orten ausspielen statt von KI aus einem nicht definierten Pool von weltweiten Texten verschiedenster Strömungen etwas generieren zu lassen, was man dann unreflektiert einer Gemeinde zumutet?!
Wer sich in neue Themen einarbeitet nutzt ja ohnehin schon Google, Wikipedia oder wissenschaftliche Bibelkommentare, um sich das Wissen von anderen zunutze zu machen. Es spricht also nichts dagegen, auch GPT um Hilfe zu bitten (außer der fehlenden Quellenangaben, aber daran lässt sich sicherlich arbeiten). Aber die inhaltliche Hoheit sollte eine qualifizierte Person haben, die durch Ausbildng und Lebenserfahrung befähigt wurde, gezielt in einen spezifischen Kontext hineinzupredigen. Das kann in Zukunft sicherlich auch eine KI leisten, aber nicht die universalgelehrte GPT, sondern das müsste eine bewusst gefärbte KI sein. In dem Sinne bin ich gespannt auf die nächste Generation individuell anpassbarer KI-Zugänge und einem definierbaren Set an Prompts, um die Ergebnisse an die Bedürfnisse der Zielgruppe anzupassen. Ich glaube nicht, dass KI dazu nie in der Lage sein wird, aber das genaue Definieren der Promts, um ein exakt stimmiges Ergebnis zu bekommen, stufe ich als hochkomplex ein. An der Stelle werden wir definitiv ernsthafte Studien in Digitaler Theologie brauchen, um Hardware und Software besser zu verstehen und den Einsatz transparent und angeleitet weiter zu erproben.

Kommentare zur Erwartung vor dem Gottesdienst

Die Performanz KI-Gottesdienstes braucht mitunter auch angepasste Gottesdiensträume. Wenn die KI auf einer Leinwand erscheint, die Kreuz und Altar verdeckt, wirkt es eher, als würden wir die Maschine anbeten als durch sie zu Gott hin geleitet zu werden. Vielleicht ist ein Hochformat-Monitor in der Größe einer Person passender oder eine Leinwand, die sich stimmig ins Raumkonzept einpasst. Auch die Frage nach dem Musikstil, der Mitsingbarkeit oder dem Gottesdienstformat kann an der Stelle nochmal durchdacht werden. Gottesdienste können sehr unterschiedlich aussehen. Welche Form eignet sich besonders für die Anleitung durch KI? Zum Beispiel die dezentral mit Stationen organisierte Thomasmesse oder auch rein liturgische Andachten ohne frei formulierte Texte können durch (besser intonisierende) Avatare gut angeleitet werden. Einen persönlichen Zuspruch können sich Gläubige vielleicht auch gegenseitig geben, um die Apersonalität der KI zu umgehen. Und schließlich wären weiterführende meditative Erfahrungsräume wie im Instagram-Experiment „AI dream of God“ eine Möglichkeit jenseits der vollständigen Planung spirituelle Räume zu öffnen im Vertrauen, dass Menschen und Gott ins Gespräch kommen können.
Die Frage, ob eine weiter entwikelte, selbstbwusste KI einen eigenen Gottesglauben entwickln kann und wird, sei erstmal ausgeklammert. In der schwedischen ScienceFiction-Serie „Real Humans“ (2012) wurde das plastisch diskutiert. Doch das würde an dieser Stelle zu weit führen.

Ich bin gespannt auf weitere Experimente, Diskurse und gemeinsame geistliche Erfahrungen.


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