Paradise & Arcadia (& Interstellar & Cloudatlas) – Wie aktuelle Filme sich das Paradies vorstellen

In der letzten Woche habe ich mich zufällig mit vier filmischen „Paradiesvorstellungen“ beschäftigt, die eigentlich gar keine sind. Spannend, dass religiöses Vokabular einer (vergangenen) perfekten Welt genutzt wird, um (zukünftige) Horror-Welten zu zeigen. Ein Schöpfergott bleibt dabei weitestgehend außen vor. Viel mehr geht es um menschliche Abgründe und innerweltliche „Erlösungswünsche“, „Opfer“ und „Versuchungen“.

SPOILERWARNUNG: Bei den beiden aktuellen Produktionen gehe ich grob auf den Inhalt ein, ohne Spannung zu zerstören. Bei den beiden 10 Jahre alte Werken gehe ich davon aus, dass sie bekannt sind und spoilere ohne schlechtes Gewissen…

Als erstes ist mir der deutsche Netflix-Erfolgsfilm „Paradise“ (2023) aufgefallen. Hier geht es in einer hochtechnologischen Zukunft ganz konkret um den Baum des Lebens und die Frage, wie (wichtige) Menschen den Tod besiegen und ewig leben können, indem andere Menschen ihnen Lebenszeit spenden. Ein wenig wie die Zeitzigaretten bei Momo, aber in Hightech.
Dabei kommen natürlich ethische Fragen auf: Wie viel Geld ist ein gespendetes Jahr Lebenszeit wert? Wie freiwillig ist eine Spende, wenn ich nur dadurch meiner Familie ein Auskommen sichern oder einen Kredit abbezahlen kann? Kann man Menschenleben gegeneinander aufwiegen? Sollte man Nutznießer eines ungerechten Systems werden oder muss man nicht viel mehr das gesamte System boykottieren und für echte, natürliche Menschlichkeit eintreten? Spannende Fragen, die der Film stellt.
Adam und Eva tauchen auf, Lillit (der Legende nach eine erste Frau Adams) und so einige Versuchungen (die ich nicht näher spoilern will). Aber der wirklich transzendente Gedanke von einem Leben nach dem irdischen Tod wird komplett ausgeblendet. Nur wenn mit dem Tod alles aus ist, macht es ja Sinn, so sehr am irdischen Leben zu hängen und alle Erfüllung im Hier und Jetzt zu finden. Wenn man der Kirche oft „Jenseitsvertröstung“ vorgeworfen hat, würde ich hier „Jenseitsvergessenheit“ anprangern und mir zumindest die Alternative Denkrichtung wünschen, die Zeit auf der Erde in ihrer Begrenztheit zu nutzen und durch eigenes Handeln eine bessere Zukunft für alle zu ermöglichen. „Spende Lebenszeit, um schneller im Paradies zu sein“ wäre sicherlich keine ethisch vertretbare Paradise-Religion. Aber die Freiheit vom eigenen Ego zugunsten von anderen Menschen wird vom Film als eine mögliche Antwort angeboten.

In Bezug auf den Untergang unserer Zivilisation ist die ARD-Coproduktion „Arcadia“ (2023) einen Schritt weiter. Sie spielt im postapokalyptischen Holland, wo „nach der großen Flut“ eine ummauerte Stadt der Glückseligen entstanden ist. An in China bereits reale SocialScoring-Mechanismen anknüpfend wird eine Familie in einer vollständig überwachten Welt portraitiert. Für gute Taten steigt der persönliche Score, für Fehltritte sinkt er. Und je nach Punktestand bekommt man bessere Wohnungen, Jobs oder Lebensmittel. Unter einem gewissen Level wird man sogar ausgewiesen und in der Wildnis außerhalb sich selbt überlassen.
Ist Arcadia ein Paradies und der Score die Versuchung? Sind die Grenz-Wächter in der Serie der Kerubim mit dem Feuerschwert, der im biblischen Bericht den ausgewiesenen Menschen den Weg zurück verwehrt? In der Serie wird deutlich, dass die vollüberwachte Zwangsgemeinschaft eher die Hölle ist und zu Neid, Angst, Misstrauen, Verleumdung und Vetternwirtschaft auf allen Ebenen führt. Also wird auch hier letztlich hinterfragt, ob ein Paradies denkbar ist, solange Menschen sich frei entscheiden und Machthabende ihren eigenen Vorteil durchdrücken können. Aber ein übergeordneter Schöpfergott kommt auch hier nicht vor. Zwar gibt es eine „Hüterin“, die gottähnlich über allem thront, aber ob sie liebevoll und gerecht ist bzw. welche ihrer engsten Untergebenen wirklich für das Gute eintreten bleibt bis zur letzten Folge offen (und soll deshalb hier nicht gespoilert werden). Zumindest scheinen die gefallenen Engel filmisch spannender zu sein als die Gutmenschen, die brav nach den Regeln spielen. Positiv ist aber anzumerken, dass die Charaktere in den 8 Folgen der ersten Staffel vielschichtig gezeichnet werden und so unterschiedliche gesellschaftliche Fragen abbilden. Klassischer Rassismus, Ableismus oder Neid werden mir eine spur zu platt gezeigt, aber so wird zumindest überdeutlich zu welchen Folgen der Claim „Du bekommst, was du verdienst“ führen wird. Ein gnädiger Gott, der sagt, wir bekommen eben nicht, was wir verdienen, sondern eine zweite Chance aus Gnade, wäre die christliche Antwort auf diese Serie (2. Staffel in Planung).

Schon etwas älter aber zum Thema auch passend versucht „Interstellar“ (2014) den Einfluss von überdimentionalen Wesen auf unsere Realität zu beleuchten. Auch hier ist die Erde am kollabieren und es geht um das Überleben der Spezies (neben der typisch schmalzigen Hollywood-Vater-Kind-Tragödie). Außerdem geht es um die Frage: Gibt es Gott, Geister oder andere Mächte, die wir zwar nicht sehen oder beweisen können, aber die versuchen, mit uns zu kommunizieren? Können manche Menschen diese Nachrichten besonders gut verstehen oder haben eine offeneren Geist für sie? Im Film ist es die Tochter eines Piloten, die Zeichen im Staub entdeckt und ihr Vater, der sie strenge Logik und Analyse lehrt, bevor er zu einer interstellaren Weltraumreise aufbricht. Dass er (ACHTUNG: SPOILER!) letzlich durch ein Wurmloch in eine fremde Dimension springt und von dort aus in einer Art Dimensionskubus unabhängig von Raum und Zeit mit seiner Tochter kommunizieren kann, ist nach langatmigen Weltraum-Abenteuersequenzen ein interessanter Twist am Ende. So kann man sich zumindest vorstellen, wie gottähnliche Wesen in die irdische Realität hineinwirken können ohne in ihr verhaftet zu sein. Am Ende des Filmes scheint ein neuer Paradiesgarten gefunden und die Menschheit wieder in Einheit mit den höheren Wesen zu leben. Jedoch gibt der Film auch die traurige Perspektive, dass es keine Götter sind, sondern wir selbst zu den höheren Wesen werden, die unseren vergangenen Versionen dann aus der Zukunft gute Ratschläge geben. Eine Diskussion über einen ursprünglichen Schöpfergott, der das System etabliert oder ermöglicht hat, bleibt aus.

Als vierten Film habe ich letzte Woche mal wieder „Cloudatlas“ (2012) gesehen. In einem epischen Mashup zeigt der Film den ewigen Kreislauf von Liebe, Hass und Mitmenschlichkeit vom Mittelalter durch Neuzeit, Moderne, Postmoderne, Zukunft bis in eine postapokalyptische Welt, die eher wieder einer Steinzeitrealität ähnelt (Auch hier: Spoiler ahead!). In dieser letzten Stufe beten die Menschen zu einer Göttin der alten Zeit, um die sich ein breiter Mythos rankt bis man herausfindet, dass sie eine unterdrückte Restaurantbedienung unserer Zukunft war, die durch eine Videoübertragung des Wiederstandes quasi zum viralen Medien-Star einer ganzen Generation wurde bis um sie herum heilige Texte, ethische Verhaltensweisen und schließlich eine ganze Religion entstand. Stück für Stück entdeckt man, dass die Hauptcharaktere aller Zeitalter den Kampf zwischen Hass/Neid/Unterdrückung und Liebe/Verbundenheit/Unterstützung repräsentieren und sich dieser Kampf zwischen Gut und Böse durch die gesamte Menschheitsgeschichte zieht bis die Menschheit auf einem neuen Planeten einen neuen Paradiesgarten bevölkert und scheinbar in Eintracht die alten Geschichten als Erinnerung weitergibt, wo wir herkommen. Das baut schon sehr nah auf der biblischen Paradieserzählung auf: Der Mensch ist für die positive liebevolle Gemeinschaft mit Gott geschaffen (Adam & Eva), hat sich aber für Egoismus und Kampf (Sündenfall, Kain & Abel) entschieden und trachtet seitdem nach Anerkennung und persönlichem Vorteil (Noahs Zeit, Sodom & Gomorra, Jakob & Esau, Josephs Brüder etc.). Und am Ende der Bibel endet die Menschheitsgeschichte auch mit einer Neuschöpfung und dem himmlischen Jerusalem als friedlichem Ziel unserer Reise. Im Film wird es als eine Art Seelenwanderung dargestellt, dass die gleichen Charaktere immer wieder geboren werden und sich an vergangene Zeiten erinnern können. „Es gibt nichts neues unter der Sonne“ formuliert der biblische Weisheitsprediger die Erkenntnis, dass sich bestimmte Phänomene über alle Zeiten wiederholen. Sind unsere Wege, Entscheidungen und Charaktereigenschaften also vorherbestimmt und festgelegt? Sind wir nur Interpreteure des großen Drehbuches zwischen dem Garten Eden und dem zukünftigen Paradies? Oder haben wir einen freien Willen und können aktiv entscheiden, ob bzw. auf welchen Wegen wir dort ankommen.
Vermutlich werden wir das auf Erden nie genau wissen, aber die Hoffnung, selbst etwas zu einer besseren Zukunft beitragen zu können im Vertrauen, dass Gott es am Ende alles gut machen wird, trägt mich auch durch schwere und unverständliche Situationen.

In sofern freue ich mich über diese Neuentdeckung der ganz unterschiedlichen Paradiesvorstellungen in Literatur und Filmkunst und die Möglichkeit, als Medientheologe geistliche Bezüge herstellen zu können. Hast du ähnliche oder ganz andere Gedanken? Lass uns gerne mal ins Gespräch kommen – Mit einem Drink im Wohnzimmer, bei einem nerdigen SciFi-Theologie-Workshop oder im wissenschaftlichen Austausch. Ich bin gespannt!


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