„Falso Amor“ (dt. Fake oder Liebe) ist eine spanische Netflix-Produktion, die das alte BigBrother-Überwachungs-Konzept mit Flirtshow und Partyspielen in die KI-Ära transferiert. 5 Paare werden für 2 Wochen getrennt in 2 Traumhäusern untergebracht. Dort wohnen auch noch je 10 attraktive Singles, die versuchen, sie in Versuchung zu bringen. So weit nichts Neues. Aber zum ersten Mal bekommen die Teilnehmenden alle paar Tage Videoausschnitte ihrer Partner zugespielt, die zeigen, wie diese mit fremden Personen flirten oder sogar fremdgehen. Der Clou: Durch Deepfake-Technologie ist es der Prduktion möglich, aus den realen Gesichtern Fakevideos zu erstellen. So wird aus einem harmlosen Tanz wildes Gefummel oder aus einer freundschaftlichen Umarmung ein verbotener Zungenkuss. Oder Darsteller spielen eine heiße Szene und die Gesichter der Protagonisten werden in die Aufnahmen eingefügt. Würde mein/e Partner/in sowas tun? Niemals. Oder doch? Für die Teilnehmenden bleibt offen, welche Videos echt und welche gefakt waren.
Das führt natürlich zu extrem emotionalen Situationen mit vielen Tränen und verzweifelten Ausrastern. Gut für eine emotionale Zuschauerbindung. Das Problem: Weil die Partner nie sicher wissen, ob etwas Schlimmes wirklich passiert ist oder ihr Schatz brav war, können sie die eigene Reaktion nicht darauf abstellen. Die heile Welt ist in Frage gestellt, aber die Hoffnung bleibt. Wie soll man sich in dieser Ungewissheit selbst weiter verhalten? An der Beziehung festhalten oder auch der Versuchung nachgeben? Aber das was man selbst tut, wird ja der Partner sehen. Oder sieht er/sie auch ein knutschendes Fakevideo, obwohl man sich ehrenhaft zurückgehalten hat? Und wie geht man damit um, wenn man den eigenen Maßstäben nicht genügen kann? Wäre es vielleicht sogar gesund, sich mal auszuprobieren, um zu merken, was das Herz wirklich fühlt? So bröselt teils jahrelanges Beziehungsvertrauen in wenien Tagen und die meisten Teilnehmenden fangen wirklich an, den wilden Flirtversuchen der Singles nachzugeben. Selbst wenn sich danach Gewissensbisse zeigen: Als Zuschauer fragt man sich, was eigentlich eine Beziehung ausmacht? Und was ein Abenteuer? Welchen Wert hat es, zwischen beidem zu unterscheiden? Und worein will ich langfristig investieren, wenn ich nie sicher sein kann, dass mein Gegenüber treu bleibt?
Abgesehen davon, dass ich es nicht wirklich nachhaltig finde, wie die Teilnehmenden die eigene Liebe prüfen, indem sie sich in eine derart intransparente Versuchungssituation bringen, grenzt es an Psychoterror, den Menschen hochemotionale Videos zu zeigen und offen zu lassen, ob sie die Wahrheit abbilden oder eine täuschend echte Fälschung. Wie früher die Gerüchteküche: „Ich hab gehört, da soll was gelaufen sein…“ ohne nachfragen zu können. Natürlich sind die Paare alle freiwillig dabei, aber sie werden durch das Konzept der Sendung zu hochemotionalen Reaktionen gedrängt und in sehr verletztlichen Situationen vorgeführt. Mehrere Personen wollen zwischendurch das Set verlassen und werden von ihren Mitbewohnern überredet, doch zu bleiben. Was abseits der Kameras passiert und welche Vertragsklauseln die eine oder andere Entscheidung begünstigen, wissen wir freilich nicht. Das Drama ist zumindest kalkulierter Teil der Show.
Was hier medienethisch deutlich wird, ist: Für Emotion und Quote tun Medinproduzenten alles. Menschliche Schicksale werden geopfert, um live dabei zu sein, wenn Menschen leiden, trauern, wütend werden oder sich aus Rache und Verletzung heraus anderen hingeben. Vielleicht war der Seitensprung des Partners ja genauso eine Reaktion auf gefaktes eigenes Fehlverhalten? Eine Aussprache oder vertrauensbildende Maßnahmen sind nicht vorgesehen. Die Verzweiflung soll spürbar sein. Bei aller Skepsis mag das für gecastete TV-Paare vertretbar sein (wer weiß, wie real die gezeigten Beziehungskonstellationen überhaupt waren). Als Vorbild für Millionen Zuschauende taugt so ein Konzept sicherlich nicht.
Natürlich baut die 8-teillige Serie über die Folgen eine gewisse Spannung auf, spielt mit dezenter Erotik (ohne zu pornös zu sein), sich steigernden Grenzüberschreitungen (Worte, Berührungen, Küsse, sexuelle Handlungen) und kann ausreichend gut unterhalten (im Trash-TV-Stil). Ich könnte mir einen Ausschnitt dieser Serie sogar als Grundlage vorstellen, um mit jungen Menschen medienpädagogisch über sinnvolle Beziehungsgrundlagen und Vertrauen zu diskutieren. Aber die meisten Menschen werden sie wohl unreflektiert sehen und als Grundaussage mitnehmen, dass man nichts und niemandem vertrauen kann, dass Beziehungen beliebig austauschbar sind und dass man sich lieber auf den nächstbesten „Urlaubsflirt“ einlassen sollte, statt zu versprochener Treue und langfristiger Bindung zu stehen.
Jetzt bin ich garnicht generell gegen offene Beziehungsmuster und erotische Abenteuer, solange man das transparent kommuniziert. Aber alle gezeigten Paare hatten sich zu Beginn der Staffel auf klare Grenzen für ihren Beziehungstest geeinigt, die allesamt schnell gefallen sind. Und wer sich auf eine monogame Beziehung einlässt, sollte gemachte Zusagen auch auf der nächstbesten Beachparty noch ernst nehmen. Schließlich waren sich die Paare anfangs ja einig, dass sie gemeinsam das Preisgeld für eine gemeinsame Zukunft gewinnen wollen.
Wobei das Spielkonzept der Serie die 100.000 EUR Preisgeld weder für Treue noch für Vertrauen, sondern für richtige Übereinstimmungen beim Erkennen der Fake-Videos auslobt. Doch selbst darauf sind die TN scheinbar garnicht vorbereitet. Sie lassen sich zumindest duchgängig von emotionalen Faktoren und Wünschen leiten und nicht von rationalen Gewinnstrategien. Von einem Trash-TV-Format kann man zwar keine Gameshow-Kriterien erwarten, aber selbst vom redaktionellen Storytelling her hätte ich mir mehr Wertschätzung für die Spielprinzpien gewünscht. Positiv ausgedrückt: Die Emotionen sind wichtiger als das Geld.
Positiv bleibt für mich der Eindruck, dass KI-Entwicklungen und das Problem von intransparenten Deepfake-Technologien durch Sendungen wie diese auch im Massenmarkt thematisiert werden. So kann ein gesellschaftlicher Diskurs über Kenzeichnungspflicht von generativer KI in Gang kommen, der dringend nötig ist, um zu vermeiden, dass ähnliche Videos in dokumentarischen Formaten auftauchen. Denn wenn wir in einer Welt, die wir primär medial erleben, Fotos und Videos nicht mehr vertrauen können, müssen wir letztlich die gesamte Wirklichkeit hinterfragen und werden leicht zu Opfern von Manipulation und Machtmissbrauch. Und das ist nicht die Zukunft in der ich leben möchte.