Halleluja – Bin ich Valerie oder der Priester?

Als 2016 das Projekt „Valerie und der Priester“ online ging, war es ein viel beachteter Blog. Viele meinten: Endlich öffnet sich die (katholische) Kirche, lässt jemanden hinter die Kulissen blicken und kritische Fragen stellen. Andere freuten sich, über die missionarische Chance, mit Skeptikern über Glaubensdinge zu sprechen. Ein Jahr lang hat die atheistisch-feministische Journalistin Valerie Schönian den katholischen Priester Franziskus von Boeselager in seinem Alltag  begleitet. Sie hat Kirchen betreten, Messen beobachtet, Alten- und Krankenbesuche erlebt. Beide haben sich auf Augenhöhe wahrgenommen, zusammen gefeiert, sich offen und ehrlich ausgetauscht und gemeinsame Erfahrungen gemacht. Und die Erkenntnis: Trotz grundsätzlich unterschiedlicher Meinungen zu bestimmten Themen (Frauenordination, Homo-Ehe, Obrigkeitsgehorsamkeit) kann man sich akzeptieren, verstehen und mögen. Auch wenn das Jahr mit Frusterlebnissen und Kontroversen gespickt war, haben beide eine Sensibilität für die Lebenswelt des anderen erlangt und zumindest einen Perspektivwechsel versucht. 2018 ist „Halleluja : wie ich versuchte, die katholische Kirche zu verstehen“ (Valerie Schönian, Piper Verlag 2018) als reflektierter Rückblick auf das Projekt erschienen.

Ich möchte nicht spoilern, ob sie am Ende heiraten, einer die andere bekehrt (oder umgekehrt) oder die Kirche in ihren Grundwerten erschüttert wird, aber definitiv ist bei der Lektüre etwas in mir in Bewegung gekommen. Ich nehme den Protagonisten ab, dass sie sich ernsthaft umeinander bemühen und kann ihre inneren Prozesse nachvollziehen.

Das Buch beschreibt den Weg dieses Jahres in sieben Abschnitten von anfänglichem Unverständnis, einer persönlichen Annäherung, frustrierter Abgrenzung und Erfahrungen, die das eigene Handeln und Glauben hinterfragen. Wie wichtig ist eine übernommene Tradition (religiös oder a-religiös)? Wo fängt Gebet an und wieviel „Geist“ wird emotional und gruppensozial erzeugt? Was würde ich denken, wenn ich anders aufgewachsen wäre? Was würde sich an meinem Alltag ändern, wenn ich davon ausginge, dass es Gott (nicht) gibt?

Wenn ich meinen Platz in dem Buch suche, stehe ich zwischen den beiden Protagonisten. Als Christ und studierter (evangelischer) Theologe bin ich eher auf der Seite des Priesters. Freiheitliche Gedanken, Grundeinstellungen und der ungeordnete Lebensstil ähneln wohl eher der Berliner Partykultur als dem Dorfpfarramt. Und in vielen Fragen springe ich, kann beide Seiten verstehen, weiß manchmal selber nicht, wie ich mich klar positionieren soll. Für die einen bin ich konservativ, in anderen Kreisen mit der gleichen Meinung liberal. Klar mag ich die Kirche als Gemeinschaft der Christen, aber ein solch blinder Gehorsam, wie es Franziskus zeigt, geht mir zu weit. In vielen Punkten bin ich froh (bei aller ökumenischer Offenheit), dem evangelischen Spektrum anzugehören, wo die Kritik an der eigenen Institution (als „Protestant“) quasi immanent ist. Und doch schätze ich dieses tiefe Gott-Vertrauen, das ich bei Franziskus herausspüre. Ich versuche gnädig zu sein, wenn Menschen Fehler machen oder an Strukturen festhalten, die einer gesunden Entwicklung im Weg stehen. Und gleichzeitig kann ich mit einigen modernen Spielarten der freiheitlichen Gesellschaft nicht viel anfangen und verteidige Traditionen, wo sie mir hilfreich erscheinen.

Das nehme ich aus dem Buch mit: Glaubensdinge kritisch anschauen ohne das reflektierte Vertrauen aufzugeben. Ich kann bei heiklen Fragen immer eine kleine Valerie in meinem Kopf haben, die mit rationalem Klargeist sagt „Warum denn?“ und gleichzeitig einen kleinen Franziskus, der sagt „Gut, dass es so ist!“. Und beide dürfen sein.
Auf jeden Fall hat mir das Buch wieder neu Lust gemacht, echte Atheisten kennenzulernen und tiefer zu bohren, was sie denken, fühlen, glauben. Nicht, um sie zu bekehren, sondern um sie zu verstehen und mit ihnen zwischen beiden Welten zu pendeln. Danke für diesen Anstoß!


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