Drei Dimensionen menschlicher Kommunikation

Wirkt Gott in SocialMedia? Kann man online geisltiche Erfahrungen machen? Weil ich bei Vorträgen oft Fragen zu dem Thema bekomme, habe ich mal ein paar Dinge zusammengeschrieben. Ursprünglich erschienen im Herbst 2016 in einem Beitrag für den theologischen Sammelband „Vielfältige Vernetzung“ zum Thema der KMU V und der daraus resultierenden Folgen für kirchliche Vernetzung. Hier jetzt ein Ausschnitt daraus fürs Web leicht umformuliert (dennoch etwas länger)…


Kommunikation in der virtuellen Realität folgt ähnlichen Gesetzen wie in der physischen Realität [1]. Ebenso kann Kommunikation in der geistlichen Realität – also die authentische Kommunikation des Individuums mit der Gottheit – als dritter Kanal betrachtet werden. Jeder Kanal hat spezifische Nutzwirkungen und am Ende bleibt die inhaltliche Frage, auf welche Form der Kommunikation man sich in welchem Szenario einlassen will.

Wenn es nun im zwischenmenschlichen Bereich diese drei Realitätsebenen gibt (physisch, virtuell, geistlich), die alle drei in dem Sinne real sind, dass sie unsere Wirklichkeit beeinflussen, wird deutlich, dass wir in der Kommunikation mit anderen Menschen interaktive Erfahrungen auf allen drei Ebenen machen können. Ähnlich wie die vier Seiten Seiten einer Nachricht nach Schulz von Thun (Sach, emotional, Apell, Selbstoffenbarung) können wir auch auf diesen drei Kanälen parallel kommunizieren.

Als Erweiterung der zwischenmenschlichen Kommunikation treten viele Menschen auch mit einer nicht fassbaren Gestalt in Kontakt, die sie Gott nennen. Gott hat nach christlicher Überlieferung in der Schöpfung sehr konkret in unsere Realität eingegriffen und ist – als Schöpfergott der neuen Kreatur – immer noch dazu in der Lage, unsere physische Realität zu verändern. Ebenso bezeugen viele biblische Ereignisse und menschliche Lebensberichte, dass Gott sie geistlich angesprochen hat bzw. dass sie sich durch geistliche Kommunikation mit ihm verbunden haben. [2]

Beispiel: Wir können ein Gebet in einer Kirche live ins Internet streamen und so gleichzeitig geistlich mit Gott im Gespräch sein, diese Kommunikation physisch in einer Kirche verorten und in den virtuellen Raum einspeisen. Auf allen drei Ebenen kann das Gebet wahrgenommen werden (von Gott, von den Menschen um uns herum, von den Internetzuschauern) und kann es Reaktionen darauf geben. Die erwartete Reaktion auf ein Gebet ist zum Beispiel auf der geistlichen Ebene, dass Gott die Bitte erhören möge oder meinen Blick für seine Perspektive öffnen möge. Unabhängig davon, ob und wie diese Reaktion eintritt und/oder mir bewusst wird, kann mein Gebet Menschen vor Ort bewegen und ihr Herz verändern. Gleichzeitig können sie mein Gebet mit ihrem „Amen“ bekräftigen, durch ihr Verhalten oder weitere Gespräche mit mir interagieren, mich bestärken oder durch gelangweiltes Gähnen dazu bewegen, schneller zum Schluss zu kommen. Ebenso real können allerdings auch Menschen angesprochen sein, die sich nicht im gleichen Raum aufhalten und nur auf der virtuellen Ebene erreicht werden. Für sie kann das Gebet ebenso real sein, sie können eigene geistliche Erfahrungen machen und auch sie können – bei vorhandenem Rückkanal – ein Feedback senden. Bei zeitversetzter Onlineausstrahlung kann eine Reaktion so auch später stattfinden.

Analog zu dieser vertikalen Gott-Mensch-Kommunikation kann man die Kommunikation von Menschen mit Maschinen beschreiben. Der Mensch als Schöpfer eines Computerprogrammes gibt dem Programm grundsätzliche Regeln, lässt es im vorgegebenen Rahmen mit konkreten Eingaben eigenständig ablaufen und ist für Änderungsabläufe, Wartung und Neuorientierung weiterhin auf Empfang. Gerade mit Blick auf künstliche Intelligenz lassen Programmierer ihren Schöpfungen aber immer mehr Freiheit und reagieren auf Kontaktaufnahmen der Maschine, sodass die Mensch-Maschine-Kommunikation eine ähnlich gelagerte interaktive vertikale Kommunikationsstruktur aufweist. Die Programmierung intelligenter Geräte wird dabei immer öfter nicht nur durch virtuelle Programmierbefehle, sondern auch durch Gesten und physische Verhaltensweisen gesteuert. Im Gesamtbild der Mensch-Maschine-Kommunikation ist insbesondere der SocialMedia-Bereich interessant, in dem mehrere Menschen in einer Community vernetzt und so Mensch-Computer-Mensch-Kommunikation ermöglicht wird. Hier bestimmt ein Algorithmus, welche Informationen einem Nutzer angezeigt werden. Der Sender einer Information bleibt also Herr über die Maschine, die aber in eigener Entscheidung mit diesen Eingaben umgeht und somit beeinflusst, wie die Kommunikation von anderen Menschen wahrgenommen wird. Wir erleben also eine Situation des machtlosen Schöpfers, der sich entschieden hat, seiner Schöpfung bestimmte Freiheiten zuzugestehen und nun nicht mehr in alle Teilbereiche eingreifen kann, dennoch aber das geschaffene Gesamtsystem weiterhin aktiv nutzen kann. [3]

Beispiel: Ein Mann lernt online eine Frau kennen. Sie tauschen einige Textnachrichten aus, finden sich interessant, sehen sich auf Fotos, diskutieren über Themen, die sie interessieren und verabreden sich schließlich auf einen Kaffee. Für den Mann hat diese Kommunikation im Kopf begonnen. Er hat ein Ziel verfolgt, sich auf einen Prozess eingelassen und ist einen virtuellen Weg gegangen. Gleichzeitig hat aber vermutlich dieser Weg auch körperliche Reaktionen bei ihm ausgelöst. Erhöhter Herzschlag, verstärkte Aufmerksamkeit, starke Zeitinvestition und einhergehende Vernachlässigung der Alltagsaufgaben. Vielleicht schläft er nicht mehr gut, vielleicht versäumt er wichtige Offline-Termine, vielleicht wirkt er auch besonders aufgeschlossen und lebendig auf seine Mitmenschen. Er hat bisher lediglich eine virtuelle Kommunikation getätigt, ist jedoch physisch davon sehr beeinflusst und hat vermutlich bei der Frau ähnliche physische Reaktionen hervorgerufen. Ebenso haben die beiden durch die Anhäufung von massenweise Metadaten auch die Verfassung des SocialMedia-Netzwerks in dem sie sich austauschen verändert.[4] BigData soll nicht als mitfühlendes Wesen dargestellt werden, ist jedoch in seiner Existenz ein sich veränderndes Gebilde, das durch den Input und daraus resultierende Interpretationen Schlüsse zieht, die wiederum die beiden Nutzer in ihrer physischen und virtuellen Realität entscheidend prägen.

Die meisten Theisten sind sich darin einig, dass Gott mit uns auf der geistlichen Ebene interagieren kann. Ob und wie genau menschliches Gebet einen Einfluss auf den Willen Gottes hat, sei dahingestellt. Aber da Gott außerhalb unserer Raumzeit existiert, ist diese Realitätsebene dafür prädestiniert, mit Gott zu kommunizieren. Ebenso kann man auch verständlich herleiten, dass der Schöpfer von Himmel und Erde einen Einfluss auf unsere physische Realität hat – zumindest einseitig. Betrachtet man den Missionsbefehl und Jesu Worte über das Weltgericht, scheint es auch eine Schnittstelle zu geben, wie unser physisches Handeln einen Einfluss auf Gottes Realität hat. Gott und Mensch stehen also zumindest auf geistlicher und physischer Ebene in bidirektionaler Kommunikation.

Ebenso verhält es sich mit der Kommunikation zwischen Mensch und „dem Internet“ oder SocialMedia.[5] Der primäre Kanal für diese Kommunikation ist der virtuelle, weil wir über Eingabegeräte etwas nicht physisch Geschaffenes in das System einspeisen, das keine Entsprechung in der Kohlenstoffwelt hat und auch beim Betrachter nur als virtuelle Information auf dem Monitor oder ähnlichen Ausgabegeräten erscheint. Gleichzeitig betonen Suchthilfestellen immer wieder, dass eine zu starke Nutzung von Internetdiensten durchaus auch physische Folgen haben kann: Schlafentzug, Hunger, Durst, fehlende Hygiene oder Vernachlässigung beruflicher Pflichten führen dazu, dass das physische Leben durch virtuelle Kommunikation geschädigt wird. Andersherum gibt es immer wieder Menschen, die durch geschickte Investitionen in virtuelle Welten oder als ProGamer viel Geld verdienen oder mit Dienstleistungen im virtuellen Bereich ihr physisches Leben verbessern können. Es liegt also auf der Hand, dass die Kommunikation zwischen Mensch und SocialMedia zumindest virtuell und physisch in beide Richtungen abläuft.

Bei Vorträgen erlebe ich oft, dass Zuhörer bis dahin mitgehen können, aber an der Stelle einhaken und meinen, das würde doch genügen. Dass Gott auch virtuell erfahrbar ist oder dass man über die geistliche Ebene auf die SocialMedia-Sphäre zugreifen kann, scheint ihnen zu fremd zu sein. Daher möchte ich diese beiden Punkte nun separat betrachten. Dabei ist mir wichtig zu sagen, dass ich nicht alte Modelle ablösen möchte und auch nicht Menschen dazu drängen möchte, alle möglichen Kanäle auch zu nutzen, sondern dass es hier lediglich darum geht, prinzipielle Möglichkeiten aufzuzeigen.
Zuerst die Frage, ob ein Mensch mit Gott auf virtuellen Wegen kommunizieren kann. Dazu ist es hilfreich, den Begriff der Virtualität genauer zu untersuchen. Von lat. virtus kommend bezeichnet etwas Virtuelles ein durch „Manneskraft“ oder gegendert „menschliche Kreativität“ gewirktes Etwas. Dabei ist weder ein technisches Grundsystem noch eine Abwertung gegenüber der Materie vorgegeben. Virtuell ist jeder Gedanke, den ein Mensch denkt, jeder Wunsch, Traum, jedes Objekt der Vorstellungskraft. In erster Stufe gibt es dabei Virtuelles in uns (Gedanken), in zweiter Stufe geteilte Virtualität (ein gemaltes Bild oder eine aufgeschriebene Geschichte) und in dritter Stufe vernetzte Virtualität (geteilte Fiktion, die wir gemeinsam weiterentwickeln).[6] Wenn wir nun jeden künstlerischen Gedanken und jede Inspiration als Virtualität begreifen und gleichzeitig daran festhalten, dass große Kunst von Gott inspiriert sein kann, wird automatisch der virtuelle Kanal auch ein Zugangsweg zu Gott. Gott kann unsere Gedanken inspirieren und wir können mit der Kunst, die wir schaffen, darauf antworten. Die Kunst kann sicherlich auch physisch (ein gemaltes Bild) oder geistlich (eine Predigt) sein, aber ebenso auch in virtuellen Systemen der dritten Stufe stehen bleiben (vernetzte Onlinekunst). Somit ist gezeigt, dass der Zugang zwischen Gott und Mensch oder Mensch und Gott durchaus auch auf der virtuellen Ebene liegen kann.
Nach diesem Weg ist nun als letzter Schritt die Frage zu beantworten, ob uns unsere SocialMedia-Nutzung auch auf der geistlichen Ebene beeinflussen kann. Sicherlich kann man anmerken, dass der Zugang zu digitalen Informationen in Computernetzwerken immer durch virtuelle Kanäle geschieht. Allerdings kann, ebenso wie die digitale Welt unsere physische Selbstwahrnehmung außer Kraft setzen kann, wenn wir beim stundenlangen Daddeln die Zeit vergessen, auch unsere geistliche Realität direkt von SocialMedia-Erlebnisse geprägt werden. Es gibt Berichte von Menschen, die in virtuellen Welten wie World of Warcraft eine Totenklage und Trauerfeier für einen in der physischen Welt verstorbenen Mitspieler abgehalten haben. Andere Menschen erzählen, dass sie von einer Onlinepredigt oder einem YouTube-Video derart angesprochen waren, dass sie Gottes Nähe gespürt haben. Und in virtuellen Andachtsräumen finden immer wieder Menschen eine Schnittstelle, die etwas in Ihnen zum Klingen bringt, was weder selbst gewirkt noch materiell greifbar und somit nach unserer Definition geistlich zu nennen ist. Das Beispiel von Amen.de zeigt in der Tridirektionalität der Kommunikation, dass auf Gebete, die ein Mensch online einstellt auch eine virtuelle Verteilung und geistliche Verarbeitung folgen kann, deren Auswirkungen der Absender dann zumindest virtuell, erwartungsgemäß aber auch geistlich (und ggf in der Folge physisch) erleben kann.

Somit ist gezeigt, dass ein Mensch sowohl mit Gott als auch mit SocialMedia auf allen Kommunikationsebenen interagieren kann. Ob man diese Erfahrungen auch auf allen Ebenen tatsächlich macht, hängt freilich nicht nur von der Möglichkeit ab, sondern auch davon, ob man es zulässt.[7] Wer mit verstocktem Herzen eine Kirche betritt, wird weniger offen für geistliche Erfahrungen sein, und wer mit nüchternem Verstand ein Liebesgedicht liest, wird weniger angesprochen von der Kunst der Poesie sein. Ebenso kann man bei der SocialMedia-Nutzung entscheiden, auf welchem Ohr man hören will, welche Ebenen man auf Empfang schaltet und welche Erwartungen man an die Kommunikation hat. Wenn die Kirche vernetzte Onlineerfahrungen fördern will, muss sie zulassen, dass Menschen sich ganzheitlich auf digitale Welten einlassen. Natürlich muss sie genauso auch die Backsides beleuchten: Suchtprobleme, Selbstreduktion und ideologische Fremdbestimmung ernstnehmen. Sie sollte aber Gottes Wirken dort genau so offen erwarten, wie sie es in der stillen Selbstreflexion, beim papierbasierten Bibellesen oder in einem Vor-Ort-Gottesdienst erwartet.

[1] Die oft vorgenommene verkürzende Unterscheidung in virtuell vs. real soll bewusst konkretisiert werden, um zu verdeutlichen, dass auch Kommunikation in der virtuellen Welt einen spürbaren Einfluss auf die menschliche Existenz hat, also durchaus real ist. Daher ist die Unterscheidung in verschiedene Realitätsebenen produktiver, die diesem Abschnitt zugrunde liegen wird. Vgl.: Kopjar: Kommunikation des Evangeliums, S.31ff.

[2]Da Gottes Realität für unserer Wahrnehmung nur indirekt zugänglich ist und die Interpretation von Gottes Handeln immer durch subjektiv menschliche Interpretation gefärbt ist, bleibt Gottes Souveränität in dieser Ausführung unangetastet. Dennoch ist in der christlichen Tradition die Annahme einer generellen Möglichkeit verankert, mit Gott in Kontakt zu treten, wenn Christen sich in Gebeten an ihn wenden und darauf vertrauen, dass er daraufhin aktiv in die menschliche Realität eingreift. Ebenso bezeugt die Tauflehre, dass physische menschliche Taten eine Auswirkung auf die kommende Realität Gottes haben.

[3] Die allgemeine Mensch-Maschine-Kommunikation wird greifbarer, wenn man sie anhand von konkreten Beispielen diskutiert. Das kann ein bestimmtes Programm, eine bestimmte Online-Community oder eine bestimmte Szenerie sein. Smartphone-Kommunikation macht sie massentauglich und verortet sie im Alltag und die Mainstreamnetzwerke großer SocialMedia-Anbieter erreichen ähnlich große Zielgruppen wie die weltweiten Religionen. Die Namen wandeln sich dabei in kurzer Zeit, die kommunikativen Konzepte bleiben längerfristig erhalten. Daher soll hier SocialMedia als Phänomen betrachtet werden, ohne konkrete Netzwerke direkt zu nennen.

[4] Ob man in Gottes Realität von „physisch“ sprechen kann, darf diskutiert werden. Bei Algorithmen und Datenstrukturen von „Physis“ zu reden, dürfte den meisten zu weit gehen. Dennoch ist es hier hilfreich, die Worte beizubehalten, um die Systeme vergleichen zu können und sich gleichzeitig bewusst zu machen, dass man für die emotionale Beschreibung von Maschinen neue Begriffe wird finden müssen.

[5] SocialMedia meint hier v.a. das Gesamtkonzept, bei dem natürlich eine Vielzahl von Maschinen und anderen Menschen beteiligt ist, meist aber eine konkrete Zielperson oder Gruppe der Gegenpart einer Kommunikation ist, selbst wenn (wie auf Twitter oder bei einem Blog) eine Nachricht prinzipiell offen an alle gesendet wurde. Für diese Argumentation betrachten wir den Kommunikationspartner SocialMedia also bewusst verkürzend als eine Einheit.

[6] Bernd Michael Haese: Hinter den Spiegeln. Kirche im virtuellen Zeitalter des Internet, Bonn 2006., S.15.

[7] Der Vollständigkeit halber sei ergänzt: und von Gottes Handeln, der unabhängig vom genutzten Kanal autark Segen schenken und verwehren kann. Da alles von Menschen geschaffene auch Teil seiner Schöpfung ist, ist davon auszugehen, dass für ihn unsere SocialMedia ebenso Teil seiner Schöpfung sind und er diesen doppelten Realitätssprung problemlos kompensieren kann. Perspektivisch ist es also auch denkbar, dass Gott mit Bestandteilen der SocialMedia oder zumindest über diese mit Menschen in Kommunikation steht.


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