Nur wer genießt, kann vergeben

Heute Nacht kam mir der Gedanke:

„Nur wer genießt, kann vergeben.“

Der Satz klingt erstmal komisch, aber je mehr ich darüber nachdenke, desto wahrer finde ich ihn.

Dazu erstmal die Grundlage:

Genuß bedeutet nicht maßloses Partygelage, Völlerei oder Feiern auf Kosten anderer. Genuss bedeutet, sich an dem zu freuen, was man Gutes hat. Das kann Gottes Schöpfung sein, eine neue Jeans, ein gutes Essen oder ein Filmabend mit Freunden. Wer dabei entspannen und sich freuen kann, der genießt.

Warum manche Menschen nicht genießen:

  1. höherEs gibt Leute, die immer mehr wollen. Wer durch eigene Leistung ein Geschäft gut abgeschlossen hat, arbeitet sofort daran, das nächste noch besser abzuschliessen. Wer immer höher hinaus will, kann nie die Aussicht geniessen. Wer sich zu sehr ausstreckt, lebt am Sinn des Lebens vorbei.
  2. entspannungAndere Menschen können nicht genießen, weil etwas noch nicht perfekt ist. Die Hose zwickt, der Pulli ist zu warm oder zu kalt, das Licht zu hell oder zu dunkel und irgendetwas kann man immer noch optimieren. Das ist eigentlich nur eine Spielart von 1. – etwas kleiner gedacht. Ich optimiere mich zu tode und komme nicht oder nur selten ans Ziel.
  3. gerechtigkeitWer sich weltweites Unrecht anschaut, kann oft auch nicht wirklich genießen. Denn andere Leute arbeiten unter unwürdigen Bedingungen, damit ich meinen Lebensstandard halten kann. Natürlich ist es gut, sich darüber Gedanken zu machen und schlechte Abhängigkeiten fairer zu gestalten. Aber wenn ich als „Ausbeuter“ schon das Leben nicht genießen kann, ist das keine gute Grundlage, um mein Leben als Ziel für die Ausgebeuteten anzusetzen.
  4. Schließlich gibt es dauerhafte „Opfer“, denen so viel Leid widerfährt, dass sie nichts genießen können. Das will ich nicht per se werten. Viele Menschen leiden tatsächlich stark. Manche fokussieren aber auch immer das, was nicht optimal läuft und nehmen so ihr Leid viel stärker wahr. Wer nur über das redet, was schief läuft, wird immer etwas zu meckern finden. Gerade die Opfer der unter 3. genanten Abhängigkeit hätten da viel Grund zu klagen. Erstaunlicherweise sind Menschen in armen Ländern oft zufriedener und glücklicher als wir mit unseren Luxusproblemen.

Gott meint es gut mit uns

Sicher, ich bin Optimist und ich bin Christ. Ich lege den Fokus gerne auf das positive, sehe Möglichkeiten statt Schwierigkeiten und glaube an das Gute in der Welt. Ich bin überzeugt, dass Gott es gut mit uns meint und wir deshalb das Leben genießen dürfen.
Und eschatologisch argumentiert: Wenn Christus am Kreuz alles getan hat und der Mensch aus freier Gnade gerettet ist, dann gibt es ohnehin nichts, was ich dazu beitragen kann. Mein Job ist es also, dieses Geschenk anzunehmen und mich darüber zu freuen. Aus Dankbarkeit kann ich dann darauf reagieren, davon weitersagen und Menschen helfen, diese positive Erfahrung auch zu machen, aber das ist keine Voraussetzung für meine Freude, sondern eine Folge davon. Also kann ich auch das große Geschenk erstmal genießen und dadurch einen Lebensstil führen, der nachahmenswert ist. Keine Verbissenheit, noch mehr zu tun, keine Ausbeutung, kein Übermaß und keine Selbstkasteiung. Sondern eine positive Offenheit für die Möglichkeiten und ein dankbarer Umgang mit dem, was mir geschenkt ist.

Verstandene Vergebung kann man nur genießen!

Wenn ich diese Vergebung und das Anrecht, Kind Gottes zu sein, verstanden habe, kann ich entspannt mit der Welt und ihren Sorgen umgehen. Wenn meine Fehler vergeben sind, kann ich auch die Fehler von anderen Menschen vergeben. Und meine Vergebung an andere wird dann keine zähneknirschende Zwangstat sein, weil man das als Christ eben so tut, sondern eine Liebestat aus freiem, reinen, glücklichen Herzen.

Gerne denke ich mit dir weiter nach, ob es auch echte Vergebung ohne Genuss gibt und ob das dann gut oder schlecht ist. Aber wenn man tatsächlich verstanden hat, was Vergebung bedeutet, glaube ich, dass der Genuss der daraus folgenden Freiheit die automatische Folge davon ist. Und damit ist Genuss das Bindeglied zwischen dem Empfangen von Vergebung und der Weitergabe von Vergebung. Und weil mir das so wichtig ist, bleibe ich bei der Formulierung:

„Nur wer genießt, kann vergeben.“


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