Über sehen

Momentan wird ja viel darüber geredet, was wir sehen:
Sollen Kinder und Jugendliche echte Kriegsbilder sehen? Ist es gefährlich, junge Menschen auf TikTok und Instagram ungefiltert alles ansehen zu lassen? Schadet zu viel Digitalkonsum den Augen?

In dem Zusammenhang ist mir eine Unterscheidung zwischen drei Arten des optischen Wahrnehmens begegnet, die man anhand der englischen Entsprechungen erklären kann:

to see
Etwas unbeteiligt wahrnehmen. Sehen tun wir permanent, das meiste wird schon weggefiltert, bevor es unser Großhirn überhaupt erreicht. Aber spannend ist schon, was in unser Blickfeld kommt. In welcher Umgebung halten wir uns auf? Die schneebedeckte Bergkuppe bietet ein anderes Panorama als das abgedunkelte Kellerbüro. In der Innenstadt nehmen die Augen viel mehr Reize auf als auf dem freien Feld, dafür ist die Weitsicht sehr eingeschränkt. Du bestimmst (meist), in welcher Umgebung du dich aufhältst und was deien Augen sehen.

to look at
Etwas bewusst anschauen und wahrnehmen. Wenn ich durch die Stadt laufe sehe ich so einiges, ohne es wirklich wahrzunehmen. Entscheide ich mich, das steitende Pärchen am Straßenrand wahrzusehen? Sehe ich den Obdachlosen am Straßenrand an oder registriere ich ihn nur aus dem Augenwinkel? Was bekommt meinen Fokus? Schaust du der attraktiven Frau hinterher oder siehst du die alleinerziehende Mutter, die Hilfe an der Straßenbahn braucht? Da, wo wir sind, setzen wir aktiv Filter, was wir wahrnehmen wollen.

to watch
Etwas mit emotionaler Verbundenheit oder bewusstem Interesse verarbeiten. Wenn du im Café sitzt, schaust du den Kindern am Spielplatz zu, wie sie spielen? Den Menschen, die gemeinsam shoppen? Dem Eichhörnchen am Strauch vor dem Fenster? Oder den Studierenden am Nachbartisch? Das Leben um uns herum erzählt Geschichten. Oft bin ich in meiner eigenen Welt gefangen und nehme nichts wirklich wahr, aber wenn ich mich darauf einlasse, bin ich oft begeistert (oder erschüttert), welche Dramen sich direkt um mich herum abspielen. Und diese tiefe Wahrnehmung kann mich zu einem dankbaren oder Fürbitte-Gebet motivieren. Das, was ich optisch an mein Herz lasse, kann ich mit Gott teilen.

Mit dem Herzen sehen
Was lassen wir an unser Herz?
Wovon lassen wir uns prägen?
Wo schaltest du bewusst ab, um dein Herz zu schützen?
Wovon lässt du dein Herz für die Not anderer erweichen?
Was tut gut und erbaut? Was manipuliert und belastet?
Gut, dass wir eigenständig entscheiden können, was wir in welcher Intensität sehen!

übersehen
Und noch eine Beobachtung: Wenn ich zu viel herausfiltere, kann ich auch wichtige Dinge übersehen. Eine rote Ampel, weil ich in Gedanken war. Anzeichen, dass es einem Freund nicht gut geht, weil ich nicht wirklich zugehört habe. Potentiell negative Folgen einer langfristigen Entscheidung, weil ich sie nicht genau durchdacht habe. Es hilft, präsent zu sein und sich bewusst zu machen, wo ich gerade bin und was meine Aufmerksamkeit hat. Denn am Ende ist es das Bedürfnis eines jeden Menschen, gesehen zu werden. Und wenn wir anfangen uns gegenseitig wirklich wahrzunehmen schaffen wir Herzensgemeinschaft und werden auch selber gesehen!


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