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OneShot – Gott spielen auf Steam?!

Eine Reflexion zum Indie-2D-Abenteuer-Rätselspiel „One Shot“ (inkl Solstice-Erweiterung).

Das Spiel fängt ganz einfach an. Man steuert eine Figur (Niko, eine Art Katze mit blauen Haaren), die in einem dunklen Haus aufwacht und sich erstmal orientieren muss. Zuerst eine Lampe finden, ein paar einfache Rätsel lösen, einen Computer anschalten, der mir mitteilt, es gehe darum, aus dieser Welt wieder nach Hause zu kommen. Dann finde ich eine riesige leuchtende Kugel mit der ich die lebensspendende Sonne dieser Welt wieder herstellen soll. Die Steuerung erinnert mich an die ersten Draufsicht-Zeldaspiele auf NES oder GameBoy. Die Welt scheint ein wenig ein postapokalyptischer Informatiker-Traum auf Droge zu sein. Eine technologische Welt mit Computern, Robotern, Maschinen, denen der (Solar-)Strom ausgegangen ist. Aber alle scheinen freundlich. Also kann ich herumlaufen, alles anschauen, erkunden, reden, lesen und Dinge einsammeln (erfahrungsgemäß kann man alles später nochmal brauchen, was sammelbar ist).

ACHTUNG: Spoileralarm! Wer das Spiel noch nicht kennt und neutral spielen möchte, bitte hier pausieren und nach dem Spielen weiterlesen. Dann bin ich umso mehr an deiner Meinung interessiert!
Wem das selber erkunden zu lange dauert, findet hier eine gute Anleitung
.
Und wichtig: Ich beziehe mich auf die Steam-Version auf Windows.
Mittlerweile gibt es auch eine Konsolenumsetzung. Hast du die gespielt, dann lass uns ins Gespräch kommen. Gerne würde ich die immersiven Funktionen vergleichen!

Screenshot aus dem Spiel „OneShot“

Aber zurück zu Niko: Schon bei den ersten Gesprächen mit den Bewohnern bemerke ich eine deutlich religiöse Sprache: Der/die (übrigens durchgängig neutral gegenderte) Protagonist:in Niko ist „Messias“, er trifft auf einen Propheten-Bot, der verheißt, dass Niko Licht in die Welt bringen kann, um sie so zu retten. Für mich als Theologen eine spannende Aufgabe.

Screenshot aus dem Spiel „OneShot“

Dann wird es immersiv: Ich werde als Karsten angesprochen. Ich bin der Gott dieser Welt. Das macht was mit mir. Klar, ein Steam-Game, da ist mein Name im Account hinterlegt, technisch alles verständlich. Aber doch bin ich ergriffen, so persönlich vorzukommen. Ich dachte, ich wäre Niko, aber ich bin der Gegenüber, der allmächtige Außenstehende, der Niko durch diese Welt leiten soll. Auch wenn ich weiterhin jeden Schritt lenke, wird mir suggeriert, da wäre ein Gegenüber für das ich Verantwortung habe.
Auch später werde ich öfters einbezogen, wichtige Entscheidungen will die Spielfigur nicht selber treffen, sondern „betet“ zu mir, also fragt nach meiner Entscheidung, wenn sie nicht weiter weiß.

Screenshot aus dem Spiel „OneShot“

Die Welt ist wirklich skurril, aber immer wieder gibt es HInweise, dass alles von einem Urschöpfer herkommt. Es gibt eine Welt-Maschine (mein Computer) und ein preexistenter Code (vgl. Joh 1 in der Bibel) generiert alles, was die Figuren als ihre Realität wahrnehmen. Da ich den Powerbutton gedrückt habe, bin ich wirklich derjenige, der sie in Existenz gebracht hat, bin der ewige, der schon vor ihrer Zeit war und auch über die Existenz der Spielwelt hinaus quasi unverändert existieren werde. Natürlich bin ich mir bewusst, dass die Figuren hier keine wirklichen Entitäten sind, aber sie spielen diese Rolle und das macht etwas mit mir. So wie ein hungriges Tamagotchie in den 90ern Kinderherzen angerührt hat ohne wirklich bedürftig zu sein, will ich Gutes für „meine Schöpfung“ und entscheide mich ethisch und menschlich, wo immer es geht. Ich will ein gütiger Gott sein!

Was die Immersion noch weiter verstärkt ist das Ausnutzen von Meta-Kommunikation außerhalb des eigentlichen Games. So hat die Software Schreibrechte im Userfolder und hinterlegt dort Informationen, die ich brauche, um Rätsel zu lösen oder passt sogar mal kurzfristig den Desktophintergrund mit einer Grafik an. Das Spiel (dessen Gott ist bin) wächst also aus dem Spielfenster zumindest auf die Ebene des Betriebssystems. Gefühlt kommt es mir einen Schritt näher und es scheint durchaus plausibel, dass es als nächsten Schritt an der Tür klingelt oder ein Code per Telefon zu mir gelangt. Als Informatiker kann ich rational sagen, wo die Grenzen dieser Spielmechanik sind, aber als Spieler bin ich erstmal gefesselt und habe das gesamte Spiel tatsächlich an zwei Abenden durchgespielt, weil ich wissen wollte, wie es weitergeht und „meine Welt“ nicht im Stich lassen wollte.

Screenshot aus dem Spiel „OneShot“

Und dann (am Ende des Grundspiels) muss ich tatsächlich eine harte Entscheidung treffen. Denn letzendlich kommt es zum Grundkonflikt, dass ja Niko die Sonne neu zum Leuchten bringen will, um diese Welt vor dem Untergang zu retten, aber ursprünglich mal der Plan war, dass Niko zurück nach Hause muss. Und mit der Zeit wird deutlich, dass Niko aus einer Realität außerhalb kommt, in die er nur zurückkehren kann, wenn diese Welt stirbt. Ich als Gott bekomme diese Information zugespielt und muss entscheiden, ob ich Niko die bittere Wahrheit (und Dilemma-Entscheidung) zumute oder ob ich autark diese Entscheidung treffe. Für Niko (der aus meiner Sicht ja ebenso virtuell ist wie die Welt) oder für die Welt (die ich aber eigentlich nur für Niko durchstreift habe). Und tatsächlich gibt es ein offenes Ende mit der Option, Niko nach Hause zu schicken oder die Welt wiederzubeleben.

Nun heißt das Spiel OneShot, weil man nur einen Versuch hat. Also scheint die Entscheidung final zu sein. Doch wenn man Niko nicht nach Hause geschickt hat, ist er ja noch da und man kann das Spiel ein zweites Mal starten. Man begegnet Niko erneut, muss in dem dunklen Haus die gleichen Rätsel lösen, aber es ist nicht 100% das gleiche. Und Niko hat eine Ahnung, dass da schonmal was war, obwohl es ja eigentlich eine neue Spielinstanz sein müsste. Aber eine Erinnerung an unsere Abenteuer scheint geblieben zu sein (vgl die Bewusstwerdung bei Westworld). So kommt es, dass Niko diesmal selbstbewusster hantiert und das Spiel irgendwann einen komplett anderen Verlauf nimmt, bis es am Ende das Spielsystem selbst aushebelt, um das Dilemma des Grundspiels aufzulösen. Die Welt kann gerettet werden und Niko kehrt nach Hause zurück. Am Ende wird ein mysteriöser Author wichtig, eine Dreieinigkeit und das Opfer, sich ganz in die sterbende Welt zu investieren. Die religiösen Motive bleiben also bis zum Ende bestehen, auch wenn keine explizit christliche Lesart vorgegeben wird.

Mich begleitet noch ein weiterer Gedanke: So wie ich als „Gott“ mit meiner Welt mitgefiebert habe, geht es unserem Gott vielleicht auch mit uns. Hat er nur einen Knopf gedrückt, eine Simulation gestartet und ist jetzt irritiert, was diese ganzen Nikos von ihm wollen? Oder Ist Gott der Author, der souverän hinter allem steht und nur scheinbar dem Chaos die Hoheit überlässt? Gott als Gamer ist zumindest eine interessante Vorstellung! (vgl. Welt am Draht bzw. The 13th Floor)

Screenshot aus dem Spiel „OneShot“

Insgesamt ist das Spiel durchaus unterhaltsam, wenn auch reichlich abgedreht. Die Rätsel sind durch die Metamethodik innovativ und erfordern ein gewisses „Out of the box“ Denken (oder die Anleitung). Aber wirklich gefesselt hat mich die immersive und direkte Ansprache von mir mit meinem Namen als ein Gegenüber, das echte Entscheidungen treffen muss. Ich steuere nicht nur einen Charakter, der dann in seiner fiktionalen Welt fiktionale Auswirkungen herbeiführt, sondern ich habe den Eindruck, wirkliche Realität zu schaffen. Für mich ist Nikos Heimkehr am Ende mehr als nur ein virtuelles Happy Ending.
Das macht für mich gutes Storytelling aus und deshalb mag ich das Spiel so gerne. Gleichzeitig stelle ich mir die Frage, welche Macht aufwändigere VR-Spiele bekommen können, wenn sie genauso pfiffig und manipulativ in einer vollumfänglichen 3D-OpenWorld-Simulation mich als Entscheider über Tod und Lebeen einführen. Wie lange kann ich mich distanzieren? Wie weit darf Kunst gehen, um Menschen herauszufordern? Wo müssen wir ethisch aufpassen, dass die Spieleindustrie uns nicht in emotionale Abhängigkeiten führt? Gerade das Ende der Erweiterung hinterlässt mich so mit einem freudigen und einem skeptischen Auge. Während ich mich kindlich freue, wirklich gut unterhalten worden zu sein, spüre ich, wie leicht ich manipuliert werden kann. Und was ein Indie-Game mit kleinem Budget schafft, werden große Spieleschmieden nicht ungenutzt lassen. Also lasst uns ins Gespräch kommen: Wo sind euch ähnliche Effekte in anderen Spielen begegnet und wie geht ihr ethisch damit um, wenn ihr zu sehr hineingezogen werdet?

gespielte Religion

Heute habe ich dem MDR etwas über Videospiele und Religion erzählt. Das nutze ich, um auch gleich einen Blogbeitrag dazu zu machen…

Das Spiel kommt ja bekanntlich über das Schauspiel und die Inszenierung ursprünglich aus dem Ritus der Religion. Ein Priester, der mit Gott in Kontakt tritt verkörpert über seine normale Persönlichkeit hinaus etwas über-menschliches. Und so wie der Fremde, nicht physisch aber doch real vorhandene Gott im Ritus erlebbar wird, entsteht auch im Alltagsspiel eine neue Dimension. In der kann man sich verlieren, kann aber auch über sich hinaus wachsen. Egal ob beim klassischen Ballspiel, Kartenspiel, Schauspiel oder Onlinerollenspiel. Man taucht ein und erlebt ein Abenteuer. Dadurch lernt man und entwickelt Strategien, die auch nach dem Spiel noch abrufbar sind und helfen, das Leben zu meistern. So schulen viele Gruppenspiele das Sozialverhalten, den Teamgeist oder das logische zielorientierte Denken.

Es gibt Browserspiele, die eigentlich ganz einfach gestrickt sind aber unglaublich fesselnd wirken. Man erlegt Mohrhühner, schießt gefrorenen Blasen an die Decke oder sortiert Bonbons nach ihrer Farbe. Oder man legt einen Gemüsegarten an, baut eine mittelalterliche Stadt, einen Ponyhof oder eine Sternenkolonie auf. Eigenverantwortlich, wie man es gerne möchte! Das ist dann ein bisschen wie selber Gott sein und eine eigene Welt gestalten. Rohstoffe suchen, vermehren, investieren. Auf bunte Bilder klicken, mit Freunden tauschen, Belohnungen bekommen und in Ranglisten aufsteigen. Es wirkt ganz einfach und man muss ja auch „nur mal kurz“ online gehen, um anzufangen. Ist man dann aktiv dabei, ist aber meist der ganze Tag vom Ablauf des Browserspieles geprägt.

Videospiele haben ganz ähnliche Strukturen. Durch die deutlich aufwändigere Grafik und Spielgestaltung entwickeln sie sogar oft eine noch größere Sogwirkung. Man taucht tief in das Geschehen ein und ggf erst am nächsten Morgen wieder auf.

Ist das gut? Natürlich kann man die Hand-Augo-Koordination trainieren und Systemoptimierung lernen. Und man darf im Leben ja auch einfach mal Spaß haben. Aber überall da, wo der Alltag zu kurz kommt, weil das Spiel bestimmt, wann man Zeit hat, geht es zu weit.

„Alles ist erlaubt, aber nichts soll dich gefangen nehmen“ schreibt Paulus in der Bibel. Von daher möchte ich Videospiele nicht verbieten, aber zu einem wachsamen Umgang damit aufrufen.

World of Warcraft ist eines der beliebtesten Spiele. Man kann es alleine auf dem PC oder vernetzt mit vielen auch Online spielen und als Gruppe Aufgaben erledigen. Es gibt immer etwas zu tun und je mehr man schafft, desto erfolgreicher wird man. Das motiviert, sich oft einzuloggen und kann mitunter schon zu Abhängigkeiten führen. Wer mehr Zeit investiert, steht im Spiel besser da, also muss man ja quasi jede freie Minute spielen, um mithalten zu können. Und gerade Menschen ohne soziales Netz können dem Sog dann nicht mehr widerstehen.

Das physische Leben außerhalb des Computers ist nicht so einfach wie das Spiel. Wenns in der Schule nicht so läuft, die Beziehung krieselt oder die Eltern Stress machen, findet man online schnellen Erfolg. Da sind Freunde, die einen für guten Einsatz loben und man kann sich selber Kompetenz antrainieren, um endlich auch mal gut zu sein. Dagegen ist es wenig hilfreich, wenn Eltern starre Regeln einführen und Kinder auf 30min Computer am Tag oder ähnliches festlegen, ohne zu verstehen womit sich ihr Kind beschäftigt. Es ist nicht schlimm, dass Kinder und Jugendliche online spielen; schlimm ist, wenn Eltern sich nicht dafür interessieren, was ihre Kinder tun. Denn dann fehlt eine wichtige Instanz, um einen reflektierten Umgang mit dem Medium zu erlernen. Mitunter müssen sich dafür auch die Eltern erstmal weiterbilden, um ihren Kindern ein ernstzunehmendes Gegenüber zu sein und ihnen Wertschätzung entgegen zu bringen.

Denn oft fehlt es jungen Menschen an positiven Erfahrungen und Erfolgserlebnissen. Wer offline kein Lob bekommt, flüchtet leicht in Onlinewelten. Wer offline nichts erreicht, kann sich online eine zweite Identität aufbauen. Und wer sein Leben offline nicht im Griff hat, kann in der neuen Welt umso mehr durchstarten und sich ganz ausleben. ABER: Das Onlineleben ist keine Alternative zur Kohlenstoff-Realität. Der Körper aus Fleisch und Blut muss ernährt und gepflegt werden. Die Wohnung muss gereinigt, Rechnugnen bezahlt und meist auch irgendeine berufliche Arbeit erledigt werden. Das kann kein Spiel ersetzen.

Digitale Welten, auch die Hochglanzillusion vom Freundeskreis auf Facebook, Instagram und WhatsApp sind nur ein Abbild unserer Existenz. Es ist gut, wenn wir unsere Freunde auch online treffen, wenn wir mit ihnen chatten, Wissen & Emotionen austauschen und spielen. Aber der Rahmen muss geklärt sein. Wer aus einer funktionierenden Offline-Realität in die Onlinewelt eintaucht, kann dort lernen, wachsen, Gutes weitergeben und als ganzheitlicher Mensch Erfahrungen sammeln. Aber wer als Fluchtreflex in die Online-Realität übersiedelt, um sich vor der Offline-Verantwortung zu drücken, der wird sich verlieren. Schnell dreht man sich im Hamsterrad aus dem es kein Entrinnen gibt, weil man ja sonst aussteigen müsste und den Problemen ins Gesicht sehen. Und der erarbeitete Erfolg im Rollenspiel besteht nunmal nur aus virtuellen Gütern, die man nicht behalten kann. Sobald der Server abgeschaltet wird, ist die Onlinewelt Vergangenheit. Ein bisschen wie sterben. Daher ist es gut, wenn man sich neben dem zerstreuenden Spiel am Feierabend auch mit metaphysischen Fragen auseinandersetzt. Was gibt mir Halt, was prägt mich, wen präge ich, wie will ich mein Leben und meine Umwelt gestalten? Für welche höhere Realität lerne ich im Lebens-Spiel hier auf Erden? Die Religion bietet Halt – auch über den Tod hinaus. In der Bibel begegnen wir einem Gott, der uns zu kreativen Geschöpfen macht und will, dass wir die Erde bewahren und gestalten. Also lasst uns raus gehen und das tun. Und mit der gleichen Kreativität lasst uns auch Computerwelten gestalten und mit Menschen interagieren, die wir online treffen. Als göttlich beauftragte Baumeister, nicht als Sklaven unserer Triebe oder irgendeiner Marketingstrategie. Denn am Ende sind wir doch alle nur „Priester“, die Rituale vollziehen und versuchen, sich dem Unbekannten zu nähern. Und solange uns diese Rituale nicht abhängig machen, sondern freisetzen, helfen sie uns, das Leben zu gestalten.
Und wenn wir auf Menschen treffen, die sich immer mehr zurückziehen und in Onlinewelten abtauchen, ist es gut, sie ernst zu nehmen, hinter die Fassade zu schauen und sie wieder für unsere Welt zu gewinnen. Z.B. indem wir ihnen Halt und Freundschaft schenken. Denn wer einen Grund findet, in der RealWorld zu spielen, wird entdecken, dass die Grafik und die Sensorik noch viel faszinierender sind. Die Level sind manchmal recht knifflig und die Mitspieler eigenwillig. Aber es verspricht ein lebenslanges Abenteuer zu werden, wenn man sich darauf einlässt, den menschlichen Charakter hochlevelt – also weiterentwickelt – und genauso engagiert dabei ist, wie online.