
Im August 2025 bin ich 170 Km den Thüringer Fernwanderweg „Rennsteig“ gelaufen und habe für mich eine Pilgerreise daraus gemacht. Das bedeutet, ich bin bewusst nicht die maximal mögliche Distanz gerannt, sondern habe mir jeden Tag Zeit genommen, nachzudenken, zur Ruhe zu kommen, auch mal Sideways zu gehen. Ich habe mich durch das einfache Übernachten in Schutzhütten auf die Natur eingelassen und habe bewusst die drei Herrbergskirchen am Weg gebucht, um dort zu übernachten.

Die 7 Übernachtungen waren ganz unterschiedlich (Schutzhütte, einfacher Kirchenraum, Unterstand, Bett in Kirche, Hängematte, Kirchenprittsche, Pension) und insgesamt alle sehr wertvoll. Auch wenn es bei Infrastruktur und Informationspolitik (teils veraltete Webseiten und Öffnungszeiten auf Schildern) einige Abzüge gibt, kann ich den Rennsteig als Fernwanderweg nur empfehlen. Gerade das nördliche Stück von Hörschel bis Neustadt lässt sich sehr angenehm im Halbschatten der Bäume laufen und ist gut ausgeschildert und die Distanz ist für halbwegs geübte Pilger mit 8-9 Gehtagen gut zu machen. Im Süden scheinen durch den Kahlschlag einige Wegweiser abhanden gekommen zu sein und man läuft oft über Feldwege oder an Landstraßen. Immer noch OK, aber nicht ganz so nice. Spannend auch, dass Teile im ehemaligen innerdeutschen Grenzstreifen verlaufen, der 40 Jahre lang kaum betreten wurde und sich da die Natur ganz anders entfalten konnte.

Und weil viele fragen: Ja, man kann den Rennsteig in beide Richtungen gut beschildert laufen und sowohl Hörschel als auch Blankenstein betonen, dass hier der Rennsteig beginnt. Niemand will das Ende sein. Eigentlich komisch, ist doch das Ziel eines Weges oft viel wertiger als der Beginn, aber am Ende meines Weges fehlte mir tatsächlich irgendein Punkt, der mir sagt: Du bist am Ziel, du hast es geschafft. Ich habe der Tradition gemäß einen Stein von der Werra mitgenommen und in die Selbitz geworfen, aber niemanden hat es interessiert. Nicht einmal ein Schild hat’s mir gedankt. Aber genauso wäre es andersrum wohl auch gewesen. Da die Kilometer von Hörschel an hochzählen und ich gerne der Sonne entgegen laufe, war das für mich stimmig, aber auch den Countdown aus Blankenstein kommend (und insgesamt 600 Höhehnmeter mehr bergab) mit der Sonne im Rücken haben sicherlich ihren Reiz.

Für mich haben die drei Kirchen die Etappen gesetzt. Tambach-Dietharz, Neustadt und Spechtsbrunn waren vorgebucht, drumherum wollte ich je „irgendwo im Wald“ übernachten. Da ca. alle 2Km Schutzhütten stehen und an 6 Orten auch Rennsteighäuser mit tagsüber geöffneten Toiletten bzw Wasserstellen, ist das auch gut möglich. Allerdings sind nicht alle Bauweisen der Hütten für Isomatten- oder Hängematten geeignet, da muss man also etwas flexibel sein.

Auch sollte man sich mit Verpflegung eindecken, da einige Gasthöfe unerwartet geschlossen waren und es auch nicht viele verlässlich Einkaufsmöglichkeiten gibt.

Mein Rennsteig als Pilgerweg mit sieben Übernachtungen: Hörschel – 1 Ruhlaer Häuschen – 2 Tambach Dietharz – 3 Plänkners Aussicht – 4 Neustadt – 5 Noranke Stauseeblick – 6 Matthäuskirche Spechtsbrunn – 7 Brennersgrün – Blankenstein

Die drei Herrbergskirchen waren auf jeden Fall kuriose Orte zum Schlafen. Die Michaeliskirche Neustadt mit einem bequemen Doppelbett direkt im Gottesdienstraum mit tollen Ostfenstern ist der Hammer und durch Dusche/WC vor Ort und Küche/Supermarkt nebenan wirklich gut nutzbar. Die Lutherkirche in Tambach-Dietharz hat ein optisch ähnliches Bettsystem allerdings als Einzelbetten umgesetzt, die im Turmzimmer versteckt sind und so nicht den Blick auf das ähnlich grandiose Altarfenster ermöglichen. Auch Küche/Duschmöglichkweit/Supermarkt sind hier vorhanden, aber weiter weg bzw. ausbaufähig und der Ort selbst liegt im Tal und nicht direkt am Weg. Das führt also zu einigen zusätzlichen (Höhen)metern. Auch in der Matthäuskirche Spechtsbrunn (wunderbar bunt gestalteter Kirchenraum mit einfaches Pritschen auf Spendenbasis) muss man für Sanitäranlagen oder Küche ins Pfarrhaus laufen und ein Supermarkt fehlt komplett. Also muss man in der lokalen Pension mitessen bzw. Vorräte mitbringen.

Beim nächsten Mal würde ich vermutlich das Kneippbecken hinter der Hohen Sonne, sowie am Heuberghaus, die Ferienanlage an der Ebertswiese (mit Schwimmgelegenheit) und das Waldschwimmbad bei Neuhaus direkt einplanen, um auch bei Waldübernachtungen abends eine Erfrischung zu erleben.

Aber dass es so heiß werden würde, konnte bei der Planung niemand ahnen. Und die Kirchen als kühle Refugien waren auch sehr angenehm. Einkaufsmöglichkeiten hat man (wenn man nicht nach Tambach oder Ruhla runterläuft) übrigens nur in Neustadt, Masserberg, Steinbach und Neuhaus (und bei einem sehr gut ausgebauten Fleischerei-Imbiss bei Limbach). Ansonsten bin ich haufenweise an geschlossenen Gaststätten vorbeigekommen, weil sie angeblich kein Personal mehr finden bzw nur an Wochenenden oder auf Vorbestellung öffnen. Warum niemand Automaten oder Einkaufs-Lieferdienste etabliert, wenn man will, dass mehr Leute den Weg gehen, ist mir ein Rätsel.

Ich glaube, mit besserer Infrastruktur könnte der Rennsteig ein echt guter Pilgerweg sein. Aber dafür müsste man die Bedürfnisse der Fernwanderer ernst nehmen und günstige Massenquartiere mit Selbstversorgerküche und Einkaufsmöglichkeit alle 20Km als Ergänzung zu den eher hochpreisigeren Pensionen etablieren, um Pilger in größerem Stil anzuziehen. Vielleicht könnte man auch das bestehende Stempelsystem stärker integrieren und sonntagnachmittags einen Steinwurf-Gottesdienst in Blankenstein inszenieren, um den Pilgern ein niederschwelliges Ziel zu geben. Das funktioniert in Santiago ja auch ganz gut 😉

Also allen Nachahmern: Gut Runst und gesegnete Reise!
